Ein Buch für Millionen

    "Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" (Bertold Brecht)

    Arizon Donnie Clark hatte eigentlich nur bei der Erziehung ihrer vier Söhne versagt. Sie ist in der Geschichtsschreibung trotzdem zu Ruhm und Ehren gekommen - und zwar gleich mehrfach, wenn auch in etwas bizarrer Art und Weise: Als schießwütige Gangstermutter, als Chef der clanartig organisierten Einbrecherbande "Barker-Karpis-Gang" und nicht zuletzt als Thema eines der größten Diskofetzer der 70er Jahre - "Ma Baker" von Boney M.

    Wie es zum Mythos von Ma Barker die am 16. Januar 1935 vom FBI erschossen wurde - und anderen Phänomen in der Geschichte des Bankraubes kam, kann nun im ersten umfassenden Werk zum Thema nachgelesen werden. In "Va banque - Bankraub, Theorie, Praxis und Geschichte", herausgegeben von Klaus Schönberger, befassen sich rund vierzig AutorInnen mit historischen, soziologischen, diskurstheoretischen, regionalen, polit?konomischen oder ganz einfach praktischen Aspekten desjenigen Sektors im kriminellen Gewerbe, um den sich wohl die meisten Legenden ranken.

    Dabei kann man erstaunliche Einsichten gewinnen. Zum Beispiel, dass der Fordismus verantwortlich ist für die Demontage des Bankräubers als Action- und Glamourstar. Denn das Fluchtfahrzeug ist nicht nur in praktischer Hinsicht ein zentrales Werkzeug zum Gelingen einer professionell durchgeführten Aktion, sondern war lange Zeit auch Teil des Mythos vom elegant entschwindenden, edlen Gangster. Mit dem Fordismus wurde das Auto zum Massenprodukt und der Bankräuber verlor ein Privileg.

    Aber auch ohne dieses Privileg liegen oft Welten zwischen realem Tathergang und überlieferter Erzählung oder medialer Aufbereitung, wenn es sich um den Einbruch in ein Geldinstitut dreht. Franziska Roller geht diesem Verhältnis aus genderspezifischer Sicht nach. "Wenn Frauen zu sehr rauben" sind Öffentlichkeit, Presse und Polizei überfordert. Aus der raubenden Frau entstand der Topos der "Bank-Lady", die wechselweise eine Erotisierung zum Vamp oder eine Stilisierung zur zarten Geliebten erfährt je länger man nach ihr sucht, desto größer wird ihr Sex-Appeal oder ihr Florence-Nightingale-Image.

    Doch die Bildermaschine kommt nicht nur in Gang, wenn Frauen sich mit der Waffe statt mit dem Auszahlungsvordruck Geld besorgen. Elisabeth Timm und Marcel Boldorf weisen nach, dass mit der Etablierung der Kriminologie als Quasiwissenschaft der Topos des Bankräubers überhaupt erst entstehen konnte. So schreibt Boldorf: "Auf der subjektiven Seite rätseln die Kriminologen über die Herkunft der Täter und deren Motivation. Noch 1960 tauchten zu ihrer Charakterisierung Vokabeln wie 'Gewinnsucht', 'Vergnügungs- und Genusssucht', und 'arbeitsscheu' auf (S. 26)" Derartige Interpretationen verweisen nicht nur auf "urdeutsche Erklärungstraditionen, sondern entbehren auch jeder Logik." Aus sozialpsychologischer Sicht stellt sich nämlich zu recht die Frage, welche Form von Sucht Gewinnsucht oder Genusssucht denn sein soll.

    Doch egal welche Mythen, Stereotypen und Bilder rund um den Bankräuber auch aufgebaut werden, eines ist klar: Mal eine "Bank zu machen" gehört zumindest zeitweise zum Traumrepertoire der meisten Menschen, sei es aus Geldmangel, weil man sich mal was Schönes leisten will oder aus politischer Motivation - um die Revolution zu bezahlen. Und so hat der Dieb nach einem gelungenen und am besten auch stilvoll ausgeführten Coup mit Sicherheit die Sympathie der Öffentlichkeit auf seiner Seite. Da helfen auch die rassistischen Einlassungen von Onkel Ede Zimmermanns "Aktenzeichen XY ... ungelöst" nicht weiter. Die 1967 zum ersten Mal ausgestrahlte Sendung beschäftigte sich im Laufe ihrer Geschichte mit insgesamt 310 Banküberfällen. Trotz Fernsehfahndung und "Mobilisierung des gesamtgesellschaftlichen Verfolgungspotenzials" konnten bis Anfang April 2000 nur 79 mutmaßliche Täter festgenommen werden. Während bei anderen Delikten in der Sendung etwa 40 Prozent Aufklärungserfolg besteht, sind es beim Bankraub gerade mal 25 Prozent. Insofern, bemerken die Autoren richtig, dürfte der Hinweis "ungelöst" fast als Ansporn wirken. Das öffentliche Ansehen des Gangsters ist also nicht durch seine Stilisierung zur Bedrohung der öffentlichen Sicherheit zu diskreditieren, es steht und fällt mit dem Erfolg. Misslingt die Aktion, dann Gnade dem Räuber vor der Öffentlichkeit, die sich nicht selten auf ihren Status der Volksgemeinschaft besinnt. Wer einen Banküberfall in den Sand setzt, gerät zum dummen, gierigen Dilettanten, der "unsere Bank überfallen hat".

    Jenseits aller Legenden und nüchtern betrachtet, wird die Volkswirtschaft durch die illegal Erleichterung eines Geldinstituts angekurbelt. Das sieht auch Marcel Boldorf so: "Der Bankräuber beschleunigt die Zirkulation des Geldes sogar, weil anzunehmen ist, dass er sein Geld schneller als andere KonsumentInnen wieder ausgibt. In diesem Sinne entsteht durch ihn kein volkswirtschaflicher Schaden, sondern er gereicht der Gemeinschaft sogar zum Nutzen" (S. 27).

    sk

    Schönberger, Klaus (Hg): Va banque Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte. VLA-Schwarze Risse-Rote Straße. Berlin/Göttingen 2000. 328 Seiten.

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    aus: ak 445 vom 23.12.2000
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