Der Überfall auf eine Bank ist bekanntlich nichts gegen die Gründung einer Bank. Was die Bankräuber seit den Tagen von Jesse James im Schweiß ihres maskierten Angesichts erbeuteten, waren in der Regel Peanuts; dafür dürfen sie mehr als andere Kriminelle auf die Sympathie des Publikums rechnen: So wurden John Dillinger, Bonnie und Clyde, Ronnie Biggs und selbst die Panzerknacker von Entenhausen Legenden. Der Bankräuber gehört zur Elite des Verbrechens: Ein gelungener Überfall erfordert kriminelle Energie, Intelligenz und ehrliche Handarbeit, Mut und Kaltblütigkeit und verscharrt dem erfolgreichen Täter nicht nur in der Unterwelt Respekt.
Zugute dabei kommt ihm das Machtgefälle zwischen Räuberzivil und Nadelstreifen: Der Zuschauer hält es im Zweifelsfall lieber mit dem armen Draufgänger als mit dem reichen, anonymen Geldinstitut; deshalb stilisieren sich die Räuber gern als Robin Hoods und Rächer der betrogenen Kleinsparer. ?Ich stahl von den Banken, die das Volk bestohlen haben", schwor Harry Pierpont, ein Mitglied von Dillingers Gang. Mit ähnlichen Begründungen raubten die frühen Bolschewik! (allen voran Josef Stalin), die Anarchisten der 30er- und die Terroristen der 70er-Jahre Banken aus.
Klaus Viehmann, ein resozialisierter Bankräuber der Bewegung 2. Juni, weiß ein Lied von der ?chronischen Unterfinanzierung linker Aktivitäten" zu singen. ?Die erste Bank ist immer die schwerste", plaudert er aus dem Nähkästchen. Oft ist es auch die letzte. 85 Prozent aller Bankräuber sind heute Ersttäter, 68 Prozent kommen nicht weit. Junkies, überschuldete Familienväter, übergeschnappte Dilettanten, neuerdings sogar Rentner und Frauen sie alle haben kaum noch Chancen gegen die hochgerüstete Sicherheitstechnik. Und wo Wachmänner der Bank ein menschliches Antlitz geben, wird der Bankräuber zum Geiselnehmer, das heroische Opfer des Geldfetischs zum Gewalttäter.
Fröhliche Indifferenz bei Fragen der Legalität
?Va Banque" - im Titel steckt nicht nur der Gang zur Bank, sondern auch das riskante Hazardspiel - ist eine pfiffige, reich bebilderte Sammlung von kulturhistorischen, sozialwissenschaftlichen, (anti-)kriminologischen und politischen Streifzügen durch die ?faszinierende Welt des Bankraubs", nebst biografischen Porträts und Antworten zu ?Frequently Asked Questions". Die meisten der 39 Autoren können ihre ?fröhliche Indifferenz" zu Fragen der Legalität nur schlecht verhehlen. Der Bankräuber, bisher nur Objekt wissenschaftlicher und polizeilicher Zugriffe, tritt erstmals als ?Subjekt der Geschichte" auf; als solcher ist er auch den Widersprüchen des Kapitalismus unterworfen. Einerseits will er, so Klaus Schönberger im Vorwort, wie der Unternehmer bei der ?ursprünglichen Akkumulation" ohne viel Arbeit schnelles Geld machen; andererseits stellt er mit seiner ?konkreten Utopie" die Eigentumsverhältnisse wenigstens individuell in Frage. Manche Autoren feiern ihn als darum praktizierenden Anarchisten, andere als wild gewordenen Krämer, der nur die Zirkulation von unproduktivem Kapital beschleunigt. Für Vincenzo Ruggiero gibt es kaum noch Unterschiede zwischen Banker und Schränker: Die einen nehmen ihre Kunden immer raffinierter aus, die ändern wollen sich nur Existenzgründungs- oder Konsumentenkredite beschaffen.
Schönbergers Wunsch, mit seinem Buch das Niveau des Bankraubs ?in Theorie und Praxis zu heben", ist fromm, aber verständlich: Nur in entwickelten demokratischen Gesellschaften hat auch der Banküberfall ?Stil und Format". Das Delikt setzt ein Mindestmaß an Mobilität, Freizügigkeit, Emanzipation und Selbstbewusstsein voraus; deshalb fand das autoritäre Deutschland erst spät Anschluss an das amerikanische Weltniveau. In den 60er- und 70er-Jahren wurde der Bankraub auch bei uns, zum Volkssport; allerdings sank mit der Masse bald auch die Klasse.
?Va Banque" versammelt kluge Essays zur Geschichte und Zukunft, Psychologie, Technik und Politischen Ökonomie des Bankraubs, erhellende Aufsätze zu Einzelproblemen wie Fluchtfahrzeugen und Maskeraden oder zur Darstellung des Bankräubers in Literatur, Film, Comic und Medien. Die bürgerliche Presse feiert ihn ja nur zu gern als schlauen Partisanen, höflichen Gentleman oder ?Superhim"; aber sobald er sich schnappen lässt, ist er nur noch der lächerliche Stümper, dümmer, als die Polizei erlaubt.
So gern der schadenfrohe Kleinbürger einen kühnen Selbsthelfer Macht und Kapital übertölpeln sieht: Der Misserfolg des Räubers bestärkt den Lottospieler in seinem Entschluss, lieber durch ehrliches Vabanque-Spiel zu Reichtum zu kommen.
Martin Halter
Klaus Schönberger (Hrsg.): Va Banque. Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte. Verlag Libertäre Assoziation, Göttingen 2000, 325 Seiten, 34 Mark.
Aus: Badische Zeitung, 10.3.2001