BANKRAUB

    Das Böse ist immer und überall

    Theorie, Praxis und Geschichte eines angesehenen Delikts

    »Seien Sie höflich, achten Sie auf die richtige Kleidung und sorgen Sie mit großzügigen Hinterlassenschaften dafür, dass eventuelle Verfolger zurückbleiben.« Mit einem launigen Beitrag hatte das ZDFKulturmagazin "aspekte" in diesem Jahr zur Frankfurter Buchmesse die angebliche »Anleitung zum Bankraub« des Tübinger Kulturwissenschaftlers Klaus Schönberger vorgestellt. Das Buch ist, glaubt man den öffentlichrechtlichen Fernsehmachern, unabdingbares Nachschlagewerk für alle, die einen Bankraub planen.
    Der Herausgeber selbst ist darüber etwas angesäuert. Keinesfalls habe er die Intention gehabt, zum Bankraub aufzurufen oder gar Anleitungen hierzu zu geben. Obwohl? Eine gewisse Ironie kann ihm nicht abgesprochen werden. Das von ihm herausgegebene Buch mit dem Titel »Va Banque« unternehme »volkskundlich-kulturwissenschaftilche, antikriminologische, historischkritische, literaturwissenschaftliche, sozialwissenschaftjiche und autobiographische Ausflüge in die faszinierende Welt des Bankraubs«, so heißt im Vorwort.

    Konkrete Utopie im Blochschen Sinne

    Und dass diese Weit eine gewisse Faszination innehat, war schon an der ungewöhnlich hohen Besucherzahl vergangenen Sonntag im »Bunker Ulmenwall abzulesen. Der Verein FoeBud eV. hatte im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Public Domain" zur Autorenlesung mit Klaus Schönberger eingeladen, und so viele waren gekommen, dass der Referent mit den Worten »Die Stadt ist sicher!« glaubte, eventuell anwesende Bankdirektoren beruhigen zu können: »Alle potentiellen Bankräuber Bielefelds sind heute hier.«
    Schönberger weiß, wovon er spricht. Der Gedanke an Bankraub ist weit verbreitet. Mit welcher Redewendung wird gerne und oft auf Geldsorgen reagiert? Genau: Da müsste man im Lotto gewinnen ... oder eine Bank ausrauben.

    Der Lotteriegewinn ist dabei die unwahrscheinlichere Option. »Während die Entscheidung, auf einen Lottogewinn zu hoffen, der religiösen Vertagung des Glücksverlangens auf unbestimmte Zeit entspricht«, so konstatiert denn auch Schönberger, »stellen die Phantasien und Träumereien von einem gelungenen Bankraub eine konkrete Utopie Im Sinne Ernst Blochs dar. Im Gegensatz zum passiven Warten auf das Glück stelle der Bankraub einen »Immerhin im Rahmen des Individuellen Möglichkeitshorizonts gangbaren Weg« dar, und das genau sei der Unterschied, den Bloch in »Prinzip Hoffnung« zwischen dummer (»abstrakter«) und tätiger (»konkretere«) Utopie ausmache.

    Bankräuber als die Helden, die in die Tat umsetzen, wovon wir alle träumen? Ein möglicher Erklärungsansatz für das Phänomen, dass Bankräuber (juristisch korrekt: räuberische Erpresser) auf große, oftmals offene Sympathie in der Bevölkerung bauen können. Eis« weiterer liegt auf der Hand: Wer wird denn schon geschädigt? Die Tat, so stellt Schönberger fest, » erscheint nicht als direkter Angriff auf eine Person, die womöglich auch Schaden nehmen könnt«, sondern gegen eine abstrakte Institution, noch dazu gegen eine mächtige. Und nicht mal das: Die Sparer trifft es nie, und in aller Regel noch nicht einmal die hoch versicherten Banken. Schönberger spricht in diesem Zusammenhang vom »Versicherungsfall« als »kollektiver Phantasie«. Und die Bereitschaft, qua »Versicherungsfall« zu ein wenig Geld zu kommen, zieht sich bekanntlich durch alle Bevölkerungsschichten.
    Wenn zum Entschluss auch noch eine besonders geschickte Vorgehensweise hinzutritt, können sich die Täter (und Täterinnen, deren statistischer Anteil allerdings nur 4,8 Prozent ausmacht) seit alters her fast grenzenloser Sympathie sicher sein. Als »sensationelte(r) Bankraub In der Kriminalgeschichte gilt laut dem »großen VerbrecherLexikon« der Coup der Berliner Gebrüder Sass aus dem Jahre 1929. Wochenlang hatten sie sich einen Tunnel zum Luftschacht des Tresorraumes gegraben und diesen in aller Seelenruhe geleert. Die Tat konnte ihnen, obwohl sie von Anfang an unter Verdacht standen, zu Lebzeiten nicht nachgewiesen werden.
    Nachdem sie au freien Fuß gesetzt worden waren, steigerten sie mit einer Pressekonferenz ihr Ansehen während die Polizei dem allgemeinen Spott ausgesetzt war.
    Die umgekehrte Variante mussten in jüngerer Zeit 1995/96 die »Zehlendorfer Tunnelgangster« erleben. Sie hatten zunächst einen mißlungenen Bankraub mit Geiselnahme vorgegaukelt, entkamen dann aber unterirdisch dem »hermetischen Belagerungsring» (Berliner Zeitung) der Polizei. In der Presse war Anerkennung bis Bewunderung zu spüren, doch als in der Folgezeit immer mehr »regelrechte Anfängerfehler (Schönberger) zutage traten, war »die mediale Zuneigung auch wieder verspielte. »Bild maulte: »Doch nur kleine Gangster..» und die »taz kanzelte die Täter als »dümmer, als die Polizei erlaubt« ab.
    Der schnöde Mammon treibt die meisten Täter in die SchalterhalIen der Welt, politische Motivation ist eher selten anzutreffen. Klaus Schönberger weiß von dem Italiener Sante Notarnicola zu berichten, der von 1963 bis 1967 mit seinen Komplizen mehrere Geldinstitute ausraubte. Größter Coup: Drei Banken in 48 Minuten! Das Geld investierte er in Waffen für den algerischen Befreiungskrieg. Erst im Prozess, in dem der gläubige Kommunist zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde, erfuhr er, dass er das einzige politisch motivierte Bandenmitglied war. Seit 1988 Freigänger, betreibt er heute eine SzeneKneipe in Bologna.
    Mit solcherlei Erzählungen vergeht die Zeit der Autorenlesung wie im Fluge.

    Die kollektive Phantasie vom Versicherungsfall

    Klaus Schönberger zieht das Fazit: »Der Vorhang fällt, und die zentrale Frage bleibt offen: Soll ich oder soll ich nicht??» Für ihn jedenfalls steht fest: »Solange es die kapitalistische Produktionsweise gibt und alles Glück in der Maßeinheit Geld gemessen wird, wird es Banküberfälle und Bankräuber geben.« Er maße sich dabei nicht an, »derlei Begehren als "falsches Bewusstsein" zu klassifizieren«. Würde er jedoch gefragt, so rate er vom Bankraub ab: »Es gibt einfach zu viele Amateure. Als Zuschauer wünschen wir uns mehr Stil.«

    Info

    Klaus Schönberger (Hrsg): Va Banque. Bankraub, Theorie, Praxs. Geschichte. Verlag Libertäre Assoziation, Schwarze Risse, Rote Straße; Hamburg, Berlin, Göttingen 2000. 330 Selten, DM 34.

    Hans Joachim Faber
    aus: StadtBlatt Bielefeld, Nummer 46, 9. November 2000, Seite 11 (KULTUREN)