Pioniertaten in immaterieller Arbeit

von Bodo Pallmer

Informelle Netzwerke, vollständig angeeignetes Produktionswissen, Teamarbeit in flachen Hierarchien, autonom organisierter Produktionsprozess, flexible Arbeitszeiten – sind die Parallelen nicht allzu offensichtlich, um blosse
historische Zufälligkeit anzunehmen?

Der Bankraub ist eine Tätigkeit, die handwerkliche, kommunikative, organisatorische und kreative Fähigkeiten vereinigt; und das seit über hundert Jahren. Während der Phase forcierter Industrialisierung ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde die unumgängliche Anhäufung von flüssigem Kapital in städtischen Zentren schnell zur attraktiven Zielscheibe illegalen Handelns.Die damit greifbar gewordene Gelegenheit, sich unter gegebenen kapitalistischen Verhältnissen die Möglichkeiten menschlichen Vermögens umfassend anzueignen, übt bis heute eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.

Waren die ersten Banküberfälle in den 90er Jahren noch weitgehend von der Anwendung brachialer Gewalt bestimmt, zwangen technische Fortschritte – etwa in der Anfertigung von Tresoren und Schlössern – ein erfolgversprechendes Unterfangen bald zu technologisch informierteren und zunehmend raffinierten Vorgehensweisen. So ist es nicht verwunderlich, dass der gelungene Bankraub nicht nur in Unterweltskreisen als die vornehmste Form der illegalen Geldbeschaffung gilt. Insbesondere der gut geplante und weitgehend ohne Gewalt
ausgeführte Coup kann sich breiter Wertschätzung erfreuen. Die dabei zu entwickelnde professionelle Leidenschaft kann sogar soweit gehen, dass die absolute Ausbeute an allgemeinem Äquivalent von den Ausführenden als sekundär
wahrgenommen wird. ?So gelang es Kimmel eines Tages, mit einem selbstgebastelten Dietrich den Panzerschrank einer Schuhfabrik zu öffnen.

Obgleich darin kein Bargeld zu finden war, bezeichnete Kimmel dies als seinen grössten Erfolg.? Erinnert uns das etwa nicht an die Mentalität, mit der heutzutage gehackt oder opensource Software entwickelt wird? Indes war Kimmel Mitglied einer Jugendgang, die ab Mitte der 50er Jahre im Pfälzer Wald ihre Aktivitäten entfaltete und auch deswegen interessant ist, weil sie sich gleichsam als Projektionsfläche einer poplinken RAF geradezu anbietet. Nicht nur, dass diese von Schinderhannes inspirierten Jugendlichen inmitten der adenauerschen Restaurationsära und noch vor den Schwabinger Krawallen aktiv wurden und innerhalb der Bevölkerung äusserst ambivalente Gefühle provozierten, auch scheint Andreas Baader nicht der erste bundesdeutsche Guerillero gewesen zu sein, der infolge von räuberischem Geldsegen eine Vorliebe für schicke Autos entwickelte. Dass diese Gruppe parallel zu ihren Aktionen nicht auch noch eine linksradikale Textproduktion hervorgebracht hat, macht sie angesichts der unglücklichen Historie der RAF-Erklärungen eher sympathisch.

Die Zukunft des Bankraubs ist ungewiss. Die Tendenz zum elekronischen Zahlungsverkehr legt eine Konzentration der Fähigkeiten auf internet-basierte Aktivitäten nahe, während die Umstellung des hiesigen Papiergelds auf den Euro zum Jahreswechsel 2001/2002 auf massive und materiell anwesende Geldmengen hoffen lässt.

Klaus Schönberger (Hg.): Va Banque. Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte. VLA, Schwarze Risse, Rote Strasse 2000. 325 Seiten im lachsfarbenen Design der Financial Times, DM 34.-