Eines sei vorweggenommen, der Herausgeber des Sammelbandes, der promovierte Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger aus Tübingen, will niemanden zum Bankraub animieren. Auch Tipps dazu finden sich in diesem Buch nicht. Statt dessen wird mit der Faszination gespielt, die ein Bankraub ausübt - mit dem heimlichen Schmunzeln, das viele überfällt, wenn jemandem der große Coup gelungen ist. Denn "die Tresore der Banken beflügelten seit jeher die Phantasie," räsonniert Klaus Schönberger verschmitzt. Und viele haben sich wohl schon einmal die Frage durch den Kopf gehen lassen, ob ernsthaft oder nicht, muss dahingestellt bleiben: Wie komme ich ans große Geld? Lotto spielen, auf die monatliche Sofortrente hoffen oder aber eine Bank ausrauben?
Gleichwohl werden in dem Sammelband keinesfalls nur Erfolgsgeschichten präsentiert. Und unter den Autoren findet sich auch nur ein veritabler Bankräuber, der inzwischen bereits längst seine Strafe verbüßt hat. Das Buch ist gespickt mit Beispielen stümperhaften Vorgehens. Helden und Heldinnen werden dekonstruiert und die Mythen, die sich um sie und ihre Taten ranken entlarvt. Fundiert recherchierte Texte wechseln sich ab mit Pressemitteilungen und kurzen Gangsterportraits. Das legendäre Gangsterpärchen Bonnie and Clyde findet selbstverständlich Erwähnung, ebenso wie die Kimmelbande, die in den 60er Jahren im Pfälzer Wald und Rheinhessen geradezu perfektionistisch Banken auf dem flachen Land ausraubte. Von Oktober 1957 bis Januar 1961 gingen allein 187 Straftaten, darunter 45 Panzerschrankdelikte auf ihr Konto. Die Beute versteckten sie zumeist in Milchkannen, gut mit Wachs versiegelt und in Erdlöchern eingegraben an verschiedenen Stellen im Wald. Nicht nur Geld, sondern auch Waffen lagerten sie derart ein.
Die so populären Panzerknacker aus Entenhausen im Mickeymausheft bedienen die Klischees der dummen Räuber. Die ungelenkigen und zu dick gewordenen Underdogs haben trotz ihrer modern angelegten Organisation - immerhin firmieren sie unter Panzerknacker A.G. - keine Chance. Alle Versuche, das Gold des raffgierigen und geizigen Dagobert zu rauben, scheitern. Ihnen fehlt das, was den gelungenen Bankraub auszeichnet, nämlich die Kombination von handwerklich-technischen, kommunikativen, organisatorischen und kreativen Talenten. Dennoch gehört ihnen die Sympathie der Leserschaft. Der Hähme sicher sein konnten sich auch die Bankräuber, die 1999 in Halberstadt mit gestohlenem LKW und Ladekran mit brachialer Gewalt einen Geldautomaten aus den Angeln hoben. Beim anschließenden Abtransport des Geldautomaten zerstörten sie mit dem nicht abgesenkten Ladearm des Krans auf mehreren Hundert Metern Länge die Oberleitungen der Straßenbahn. Dadurch verunsichert, ließen sie ihre Einbruchsmaschinen und die noch sicher verpackte Beute stehen und flohen.
Das Buch über den Bankraub beginnt auf Seite 007. Die Assoziation mit dem Kinohelden James Bond, der auch nicht immer saubere Methoden anwendet, ist sicherlich bewusst gewählt. Spielerisch und dennoch seriös wird die Historie des Bankraubs nachgezeichnet.
Die ersten Banküberfälle in den 1890er Jahren waren noch weitgehend von der Anwendung von Gewalt bestimmt. Die technischen Entwicklungen von Sicherungssystemen in den Banken wie Schlösser und Tresore veränderten die Vorgehensweise der Bankräuber hin zu mehr handwerklichem Know-how und dem Auskundschaften der Besonderheiten der ausgesuchten Bank. Wohl deshalb kann sich der gelungene Bankraub in Unterweltskreisen als die nobelste Art der illegalen Geldbeschaffung rühmen. Die gesamtgesellschaftliche Wertschätzung gilt insbesondere für den klug und umsichtig durchdachten und gewaltlos realisierten Raub. Während in den USA Überfälle im großen Stil auf Banken und Geldtransporte im 19. Jahrhundert schon längst an der Tagesordnung waren, galt Bankraub in Deutschland bis Anfang des 20. Jahrhunderts als ein nur selten ausgeführtes Delikt. Erst mit der Gründung der Deutschen Girozentrale nach dem Ersten Weltkrieg, nahm hier die Bedeutung der Banken und damit auch die des Bankraubs zu. Geld in Mengen musste seltener transportiert werden, weshalb ab dieser Zeit die Banken und das darin aufbewahrte Geld zum Objekt räuberischer Begierde avancierte. Als Meisterstück der Kriminalgeschichte wird der Einbruch der Gebrüder Sass in die Disconto-Gesellschaft in Berlin eingeführt. Mit modernster Technik, dem Bau eines Tunnels zu der Silberkammer und dem Tresorraum und dem anschließenden Einsatz von Schneidbrennern konnten sie nahezu alle der Kundensafes öffnen. Die Beute transportieren sie in Ruhe ab. Die Höhe des Raubes war nie genau zu ermitteln. Sie bewegt sich um die zwei Millionen Reichsmark. Viele Bankkunden hatten vor dem Finanzamt ihr Guthaben nicht angegeben und hielten es nun - davon erleichtert - weiterhin geheim. Doch die zunächst erfolgreiche Geschichte endet mit der Verhaftung der Gebrüder Sass 1934 in Kopenhagen. Eine spätere Auslieferung in das nationalsozialistische Deutschland besiegelt ihr Schicksal. Rudolf Höß ließ sie 1940 im KZ Sachsenhausen hinrichten.
Beim Bankraub fehlt häufig das Schuldbewusstsein. "Die geraubten Summen sind doch nur peanuts", lauten Vorstellungen der Räuber. Denn ein Bankraub richtet sich im Gegensatz zu einem Handtaschenraub oder einem Einbruch in ein Privathaus nicht gegen eine wirkliche lebende Person sondern gegen eine anonyme riesige Einrichtung. Die erbeuteten Summen sind, verglichen mit den Geldmengen der Banken sehr gering. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden wurden letztes Jahr bei Bank- und Postraub pro Überfall durchschnittlich gerade 50.000 Mark geraubt.
Bankraub ist kein typisches kriminelles Phänomen. Bankräuber und Räuberinnen sind nicht ausschließlich professionelle Kriminelle - im Gegenteil, es sind häufig Neulinge: vom Polizisten bis zur Hausfrau oder dem Rentner. Viele haben es schon probiert mit mehr oder weniger Glück. Die Gründe für den Bankraub sind offensichtlich. Es ist der Traum vom großen Geld und einem dadurch ermöglichten sorgenfreien Leben. Ein weiteres Tatmotiv sind Schulden. Denn oft ist das Geld schon längst ausgegeben, das nun nachträglich durch den Banküberfall zum Abbezahlen der Schulden geraubt werden soll. Laut Kriminalstatistiken sind 85 Prozent der Bankräuber Ersttäter. Dass es zum Wiederholungsfall kommt ist demnach eher unwahrscheinlich. "Wenn es ums Geld geht, haben fleißige und anständige Bürger oft keine Skrupel. Sie rauben und betrügen", beklagt der Chef des Wiener Sicherheitsbüros. Und als Beleg führt er den Fall des durchaus gut situierten 69jährige Pensionärs Kurt L. an. Dieser hat vor Gericht seine Tat zwar bedauert, doch sein Motiv war reine Geldgier. Kurt L. war wohlhabend, hatte regelmäßige hohe Pensionseinkünfte und zudem noch am Ende seines Arbeitslebens eine Abfindung in Höhe von umgerechnet 180.000 Mark kassiert. Dennoch wollte er mehr und raubte deshalb eine Bank aus. Er wollte mit diesem Geld sich und seiner Lebensgefährtin ein luxuriöses Leben finanzieren. Dass jeder Unbescholtene zum Bankräuber werden kann, macht es für die polizeilichen Ermittlungen nicht leichter. "Denn niemand ist so schwer zu fassen, wie der brave Mann von nebenan." Und die Presse stellt erleichtert fest: "Zum Glück greift nicht jeder Bürger, der sich gerade keinen Urlaub in der Karibik leisten kann, zur Pistole und geht in die Bank."
Doch mit einem Merkmal können sich die Fahnder die Suche erleichtern. Frauen sind in lediglich 4,8 Prozent der Fälle an Banküberfällen beteiligt. Wenn eine Frau einen Bankraub begeht, kann sie mit einem großen Medieninteresse rechnen. Oft wird dann ihre Weiblichkeit und Sexualität in den Vordergrund gestellt. Selbst das Anziehen von Handschuhen erscheint dann wie ein sexueller Akt. Dies schildert eindrücklich Franziska Roller und sie zitiert dabei den Stern, der 1968 über eine professionelle Bankräuberin schrieb: "Es war immer ein erregender Augenblick, wenn Gisela W. ihre dünnen Lederhandschuhe anzog, die so weich waren und gefühlsecht." Die öffentliche Darstellung von Frauen als Bankräuberin wechselt zwischen den Extremen. Entweder erscheint sie in den Medien als Verführerin oder als biedere und einfühlsame Frau. Sehr häufig wird dabei das Klischee der treusorgenden Mutter bedient. Einer Frau, die um ihrer Kinder Willen einen Überfall plant und ausführt ist die Tat leichter nachzusehen. Wenn Frauen zudem nur wenig handwerkliches Geschick an den Tag legen, wird dies nochmals besonders unterstrichen und als typisch weiblich deklariert. Blindes unbedachtes Handeln aus Sorge wegen der Kinder gilt geradezu als mütterliche Eigenschaft. Das Muttersein spielt in der Berichterstattung eine bedeutende Rolle. Dies wird erst recht betont, wenn eine Frau hochschwanger einen Überfall begeht oder wenn gar im privaten zur Flucht dienenden PKW die brav angeschnallten Kinder warten. Bei der Verurteilung können Frauen dann eher mit Milde rechnen. Das Bild einer Mutter, die wegen ihrer Kinder quasi Mundraub begeht, stimmt die Richter und Staatsanwälte großherzig. Dies war so auch in dem Fall einer zweifachen Mutter. Die Haushaltskasse war leer, weswegen sie sich mit der Spielzeugpistole ihres Sohnes bewaffnet zu einer Bank aufmachte. Bei dem Überfall erbeutete sie gerade 1400 DM und wurde zudem geschnappt.
Die Perspektive aller Beiträge in dem Buch ist die der Täter und nur am Rande die der Opfer. Dieser Lücke ist sich der Herausgeber, Klaus Schönberger, bewusst. Er argumentiert damit, dass die Beschäftigung mit dem Bankraub erst seinen Anfang nimmt und eine Beschränkung notwendig war. Nun ist zu hoffen, dass in Bälde ein ebenso breites und vielschichtiges wie auch spannendes Werk der Raubopfer erscheinen wird.
Gudrun Silberzahn-Jandt
(aus: Esslinger Zeitung, 13./14.01.2001)