Take the money and run! So heißt der Film, mit dem Woody Allen bekannt wurde, und zurzeit läuft in den deutschen Kinos sein neuester Streifen, in dem er wieder einen Bankräuber spielt. Der Einbruch in eine Bank scheitert auf der ganzen Linie und was als Ganovenfilm begann, wird als ein Märchen über den amerikanischen Traum weitergeführt. Die Millionen erbeuten die Räuber am Ende nicht im Tresorraum, sondern verdienen sie ganz ehrlich mit den köstlichen Keksen der Ehefrau. Unmittelbar zuvor läuft im Kino ein Clip für eine italienische Schuhmarke, in dem die Mythen von Bonnie und Clyde und Cinderella miteinander verwoben werden: Bei der Flucht verliert die Gangsterlady einen Schuh.
Wir sehen also: die Fantasien vom Bankraub sind immer noch so wirksam, daß man hofft, damit Schuhe verkaufen zu können. Andererseits scheint das reale Gelingen immer unwahrscheinlicher. Eher könnte man mit Keksverkauf oder Quiz-Shows zu Geld kommen.
Die Aussichten auf einen erfolgreichen Bankraub schwinden im Zeitalter des bargeldlosen Geldverkehrs und der immer perfekteren Sicherheitssysteme. Die Frage "Geld oder Leben" muss sich der Bankräuber nun selbst stellen. Nur fernab hochtechnisierter Gegenden lockt die Chance einer lohnenden Beute - und das auch nur, wenn die Währung dort von Wert ist. So endete ein Bankraub in der Sowjetunion mit anschließender Flucht ins Ausland geradezu tragikomisch: Der Rubel war nicht konvertierbar.
Der Bankraub wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer anachronistischen Tat. So kommt ein Buch über seine Theorie, Geschichte und Praxis zur passenden Zeit. Das vom kleinen, politisch hoch ambitionierten und trotz oder wegen der eigenen anarchistischen Geschichte exklusiven Verlag "Libertäre Assoziation" mit herausgegebene Buch versammelt Beiträge von Autoren aus den verschiedensten Bereichen, vom Cyberpunk mit früherem autonomen Hintergrund bis zum Juristen und Experten für Informationstechnik, der die Behörden berät. So unterschiedlich die Autoren, so vielfältig sind die Texte, deren Anspruch sie weniger für die Praktiker des Bankraubs interessant macht als für all diejenigen, die klug und fundiert Geschriebenes zum Thema lesen möchten. Immer wieder werden die theoretischen Beiträge von kurzen Geschichten über die Protagonisten des Bankraubs unterbrochen, die den Mythos, dass unter ihnen viele Verbrecher aus verlorener Ehre sind, stützen. Schiller hatte diesen Gescheiterten in der Figur Karl Moors ein Denkmal gesetzt; außerdem begegnet man neben dem berühmten Gangsterpaar Bonnie und Clyde (die übrigens gewalttätiger und skrupelloser agierten, als man wahrhaben will) auch Ronnie Biggs, der sich nach dem legendären ?berfall auf den Postzug in England nach Brasilien absetzte. Zur Sprache kommen jene, die heute in Vergessenheit geraten sind, aber nicht minder zum differenzierten Bild beigetragen haben, das man vom Bankräuber hat und diesen vom schnöden Räuber, der Omas Handtasche entreißt, unterscheidet.Ein leuchtendes Vorbild unter den Bankräubern ist der Schweizer Walter Stürm, der versuchte, jeder Gewaltanwendung zu widerstehen und sich später jahrelang gegen Isolationshaft engagierte, oder Katharina de Fries, die zur Unterstützung politischer Aktionen und verhafteter Freunde Geldboten überfiel. Ein gutes Beispiel ist aber auch Horst Fantazzini, Kind deutsch-italienischer Eltern, der als "höflicher Bankräuber" galt, mehrere Ausbruchsversuche unternahm und heute im Gefängnis Erzählungen und Gedichte schreibt, oder Alberto Spaggiari, der den legendären Einbruch in den Tresorraum der Société Générale in Nizza 1976 plante. Letzterer schrieb in einem Buch über seinen Coup: "Vor diesem Abenteuer habe ich acht lange Jahre vor mich hingedöst... Ein wahres Koma. Die Mehrwertsteuer, die Sozialabgaben, die Versicherungen, die Parkscheine ... die Müllabfuhr... Ich habe für alles bezahlt... Ich, Spaggiari, der Abenteurer hatte mich eingepfercht..."
Wer hat nicht selbst schon einmal unter der Last des Alltags an einen erlösenden Bankraub mit anschließender Flucht in die Südsee gedacht? Das ist es, was vielen erleichtert, sich mit Bankräubern zu identifizieren, abgesehen davon, dass sich das Verbrechen nicht gegen einen Einzelnen richtet, sondern gegen die Bank, über die sich jeder schon einmal geärgert hat. Die Tat richtet sich einerseits gegen die Grundlagen des Systems und macht aus dem Täter einen gesellschaftlichen Außenseiter. Andererseits zeugt sie von dem Wunsch, auf höherem Konsumniveau daran teilzuhaben.
Der Bankraub gehört zum 20. Jahrhundert. Seine Grundlagen waren der hohe Grad an Mobilität, die Abwicklung des Geldverkehrs über die Banken und die Anonymität in den Großstädten. Die PR besorgte das Kino. Florian Schneider zeigt in seinem exzellenten Essay, wie sehr Bankraub, schnelle Autos und Spielfilme zusammengehörten.
Infolge von Videoüberwachung und Informationssystemen ist es fast unmöglich geworden, unerkannt und ohne Lebensrisiko zu fliehen. Da erscheint es sinnvoller, einen Computerkurs zu besuchen. Die Hacker von heute haben schon längst die Bankräuber von gestern, die nur noch als tragische Figuren wahrgenommen werden, beerbt. Und auch den Hackern sind die Sympathien sicher, umso mehr, da fast keine Opfer von Gewalt zu befürchten sind, ein hohes Maß an Spitzfindigkeit dazugehört und man das Ganze vom Südseestrand aus erledigen kann.
Va Banque. Bankraub - Theorie, Praxis, Geschichte. Hrsg. von Klaus Schönberger. Verlag Libertäre Assoziation, 325 S., 34 DM
aus: Financial Times Deutschland, 12.01.2001