Der ominöse Hinweis Brechts auf das Verhältnis zwischen Schränker und Bänker enthält nicht die ganze Wahrheit, denn wiewohl der Bänker schon im mündelsicheren Geschäft mehr Schaden anrichtet, als der Bankräuber, ist letzterer erheblich unterhaltsamer, mit der Folge daß mir auf Anhieb kein Film über einen Bankier einfällt, während es eine Menge schöner Filme über das Ausrauben von Banken gibt.
Der Unterschied zwischen Schränker und Bänker ist nicht ethischer Natur, was sich in dem Klischee abbildet, daß Bankräuber auf dem Campingplatz am Hockenheimring Urlaub machen und abends Bratwürste grillen und Bier aus Stubbies trinken, während Bankdirektoren Sekt trinken im Rubirosa mit höheren Töchtern, die Kunst sammeln und im Sommer nach Bayreuth oder Salzburg fahren. Es fragt sich also, warum für die Darstellung des Wirklichen mittels Literatur, TV-Film etc. die Sitten und Gebräuche der sozial und intellektuell Minderbemittelten bevorzugt werden, während die Emanationen der gebildeten Kreise höchstens den Unterhaltungsansprüchen von Iris Radisch und Elke Schmitter genügen.
Wären Sozialschädlichkeit und Einsichtsfähigkeit dramaturgisch interessante Gestaltungselemente, so müßten die Betrüger, Diebe, Hochstapler, erpresserischen Menschenräuber, Bankräuber etc., die mich auf zweiunddreißig TV-Kanälen heimsuchen, allesamt aus den besseren Kreisen stammen. Tun sie aber nicht. Warum also das Interesse am Banküberfall, wenn sein Urheber zu 99 Prozent aus der Unterschicht stammt?
Vermutlich entspricht der stupide Blick des Flimmerkistenbenutzers dem des amüsierten Besuchers im Zoo, wo auch immer eine Menge Lebewesen lauter ulkige Sachen machen, die nur deshalb unterhaltsam sind, weil sie uns irgendwie an unser eigenes Verhalten erinnern, egal ob der Pavian mit eregiertem Glied den Kotau seiner Damen entgegennimmt oder der Gentleman den Postwagen abkuppelt, in dem die dreißig Millionen Pfund Sterling lagern. Der Zoo erfüllt Desiderate, die von ungehemmter, unverstellter juckender stinkender Triebhaftigkeit handeln, während der Gangster unsere Träume von einer einfacheren, weil deregulierten Ökonomie aus dem Stammesgehirn widerspiegelt. Einem Bettler legte Durruti seine Pistole in die Hand und fragte: "Was willst du mit einer Mark? Da drüben ist eine Bank." Das Apercu des großen Anarchisten existiert in etlichen Variationen. Reporter: "Sagen Sie, Murphy, warum überfallen Sie immer Banken?" Bankräuber: "Because that's where the money is."
Das ist jedoch nicht alles. Je nach politischer Ausrichtung der Trivialität des Denkens wird der Griff nach der Geldbörse des Nachbarn oder dem Geldschrank in der Bank nebenan begrüßt oder verurteilt, aber immer als Akt des Aufruhrs mit politischer Tendenz propagiert oder empfunden. In bürgerlichen Blättern, wo die Linke nicht weiß, was die Rechte tut, wird man, vorzüglich im Literaturteil zuweilen die bange Frage lesen: "Wo bleibt die subversive Literatur?" Würde man die verantwortungslose Redakteurin so einfältiger Fragen drauf hinweisen, daß ein subversives Gedicht ein solches wäre, daß von den Frühlingsgefühlen handelt, die der Poet hat, der seinen Lebensunterhalt mit gelegentlichen Überfällen auf die Tageskasse im Supermarkt finanziert, wäre sie vermutlich erstaunt.
Im Grunde müßten Eigentumsdelikte wie Mund- und Bankraub (natürlich auch Betrug und Unterschlagung, erpresserischer Menschenraub, Geldfälschung etc.) mit einer gebührenfreien Verwarnung geahndet werden. Selbst die Gewaltanwendung, die mit einigen Delikten fast zwangsläufig einhergeht, hat das Opfer sich in der Regel selber zuzuschreiben. So sehr der gewaltfreie Banküberfall im Prinzip zu begrüßen ist: Man ist als Bandit nie ganz sicher vor freiwilligen Helden des Status quo mit und ohne Uniform.
Durruti übergab der mexikanischen Arbeiterbewegung eines Tages eine größere Summe zur Finanzierung einer Schule für libertäre Arbeiterbildung, mit der Bemerkung: "Dieses Geld habe ich der Bourgeoisie abgenommen. Es wäre nicht logisch zu denken, sie hätte es mir auf einfache Anfrage gegeben." Das Problem des Eigentumsdeliktes ist damit definiert: Objektiv haben die einen mehr Geld als sie brauchen, die anderen weniger. Subjektiv haben diejenigen, die objektiv mehr haben als sie brauchen, nicht genug, um etwas abzugeben, die anderen aber nicht genug, um darauf zu verzichten. Das Eigentumsdelikt verweist stets auf ein Verteilungsproblem.
Kommen wir zur Sache. Zu begrüßen ist die Publikation einer Anthologie, die im wesentlichen vom Bankraub handelt und sich auch als Geschenk für den Patenonkel eignet, der zweimal im Jahr zum Golfen nach Madeira fliegt. Das Buch ist zwar ein Paperback, aber ansonsten liebevoll und mit viel Geschmack gemacht, auf gemsfarbenem Papier gedruckt, lesefreundlich umbrochen, mit Glossen verziert, auch für den kleinen Toilettenbesuch zwischendurch geeignet, mit hübschen Fotos aufgelockert und somit ein richtiger Schnickschnack, wie er sich für ein so hohes Thema geziemt. Eine echte Alternative zur Bibel auf dem Nachtkästchen im Dorinth-Hotel für Vertreter der mittleren Spesenklasse, die schon alle Pornos des hoteleigenen Pay-TV kennen.
Auf 328 kurzweiligen Seiten hat Herausgeber Klaus Schönberger 39 Autorinnen und Autoren versammelt, die im wesentlichen allen Fragen nachgehen, die mich interessieren: Was trägt man zum Bankraub? Wie sieht eine Bank von innen aus? Sind moderne Sicherungssysteme eine Gefahr für die Branche? Welchen Charme hat der bargeldlose Bankraub? Der Bankraub im Film, in der Belletristik. Ganze Abschnitte sind der Finanzierung subversiver Umtriebe gewidmet, Stichwort: Stalin, Durutti, die Tupamaros, der 2. Juni, die Roten Brigaden. Dazwischen gibt es kleine Biographien und Episoden. Deutlich wird, daß es sich um ein komplexes Phänomen handelt, das politisch nur schwer einzuordnen ist. Der Bankraub ist weder so systemkonform, wie seine Gegner, noch so revolutionär wie seine Apologeten behaupten, und selten verwerflich.
Auffällig ist, daß nicht alle Armen mit niedrigem Intelligenzquotienten und schwerer Jugend Bankräuber werden. Offensichtlich ist er wie der erpresserische Menschenraub und andere kriminelle Großprojekte ein arbeitsteiliges Delikt, das Spezialwissen und Kreativität, aber auch Glück, Mut, Planungssicherheit, Entscheidungsfreude, Teamfähigkeit und andere Tugenden erfordert. Vor allem Bankeinbrüche sind oftmals langwierige Unternehmen, die erhebliche technische und logistische Probleme aufwerfen, während Überfälle fordistisches Timing nahelegen, das empirisch erarbeitet werden muß. Bestes Beispiel: Die 45-Sekunden-Bande. Hilfreich ist auch die Kenntnis der einschlägigen kriminologischen Literatur, wo Fluchtwege etc. beschrieben werden.
Das Resümee könnte lauten: Das Negativ-Image des Bankräubers ist selten gerechtfertigt. Zweitens: Opas Bankräuber ist tot. Drittens: Um die Zukunft der Schwerkriminalität ist mir nicht bang, auch wenn das große Geld weiterhin dem white-collar-Ganoven gehört.
Klaus Schönberger: Va banque. Bankraub - Theorie. Praxis. Geschichte. Libertäre Assoziation, Hamburg 2000, 325 Seiten, 34 Mark
In: konkret 5/2001