MARBACH/TÜBINGEN. »Jeder will doch Geld haben.« Entscheidende Frage für Klaus Schönberger dabei: Wie beschaffen sich Menschen den schnöden Mammon - legal oder illegal? Besonders Letzteres fasziniert den gebürtigen Marbacher. Und nicht nur ihn: »Die Tresore der Banken beflügeln seit jeher die Fantasie.« Überfälle auf Geldinstitute und Postzüge belegen die Theorie des Kulturwissenschaftlers aus Tübingen. In seinem neuesten Buch »Va Banque« nimmt er Räuber und Gendarme unter die Lupe.
Klaus Schönberger ist in Marbach kein unbeschriebenes Blatt. Als Mitbegründer des Autonomen Zentrums hat er mit mancher Aktion für Furore gesorgt. So zum Beispiel die Debatte über das Kriegerdenkmal im Jahr 1985. Inzwischen ist es ruhiger um den gebürtigen Marbacher geworden. Viel erzählt er nicht aus seiner Vergangenheit. Die steht für ihn bei der Präsentation seines Buches nicht ihm Vordergrund.
Heute »thront« Schönberger hoch oben im Eckturm des Tübinger Schlosses. Umgeben von dicken, grauen Steinmauern. Durch das schwere Portal führt der Weg treppabwärts zum Arbeitszimmer. Bücher und Papierstapel türmen sich darin. Lediglich auf dem Sofa aus Großmutters Zeiten ist noch Platz. Doch die Postmoderne hat längst Einzug gehalten: Auf dem braunen Holzschreibtisch steht ein Computer - Internetzugang inklusive.
Das Ambiente erinnert an Studentenzeiten. An Instant-Kaffee und Tütensuppe. Klaus Schönberger selbst wirkt, als ob er erst seit kurzem sein Examen in der Tasche hätte - wenngleich er im Alter von 41 Jahren schon lange aus den Studentenschuhen herausgewachsen ist: schwarze Jeans, anthrazitgraues Sweat-Shirt, Turnschuhe.
Dicke Steinmauern - Inspiration für das neue Buch? Klaus Schönberger schüttelt den Kopf. Früher habe man das Schloss zeitweilig als Gefängnis genutzt. Für das Projekt wäre diese Tatsache »eher kontraproduktiv«. Die Idee zu »Va Banque« kam ihm vor rund vier Jahren. Fasziniert von der Sympathie, die findige Diebe nach einem gelungenen Bankraub in der Bevölkerung ernten, entschließt er sich, diesem Phänomen nachzugehen. Ende September 2000 bringen der Herausgeber Schönberger und seine Mitstreiter die Recherchen in 26 Kapiteln zu Papier: Das 324 Seiten starke Werk erscheint im Verlag Libertäre Assoziation in den Buchhandlungen.
Schon im Titel deutet Schönberger das zentrale Thema des Buches an: Salopp übersetzt bedeutet der Begriff »alles auf eine Karte setzen«. Wer »voll auf die Bank geht«, riskiert alles, was er hat. Der Kulturwissenschaftler und Historiker subsumiert unter »Va Banque« alle jene Delikte, die sich gegen die Bank richten. »Es geht um Überfälle auf Geldinstitute, Geldtransporter, Postzüge, Postfilialen, staatliche Zahlstellen sowie um Einbrüche in Tresore«, heißt es im Vorwort.
Beeindruckend ist vor allem das breite Spektrum und die klare Strukturiertheit des Bandes. Fast 40 Autoren arbeiten die Geschichte, Theorie und Praxis des Bankraubes auf. Auch Aspekte wie »Fördern Sicherungssysteme Geiselnahmen?« oder »Bytes statt Banknoten ? die Zukunft des Bankraubs« werden untersucht.
Begonnen wird bei den Ursprüngen. Und die liegen im Wilden Westen. »Die aus Europa bekannten Formen räuberischer Aktivitäten entwickelten sich jenseits des Atlantiks zu ungeahnter Perfektion und Größenordnung«, heißt es in einem Beitrag. Belege dafür liefern beispielsweise Jesse James, die Younger Brüder oder Bonnie und Clyde.
Aber nicht nur Überfälle in Übersee werden analysiert. Auch die in Europa. Egal ob sie von prominenten oder weniger bekannten Bankräubern verübt wurden. Selbst der so genannte Hammermörder Norbert Poehlke, der 1984 in »Marbach einen Handlungsreisenden erschoss«, wird unter die Lupe genommen.
Ziel des Buches ist es, so Schönberger, »weder schönzufärben noch zu verdammen«. Ein Vorsatz, dem die Autoren meist gerecht werden. Helden werden auseinander genommen, ihr Mythos an der Realität gemessen. Räuber können sich ihre Sympathien in der Bevölkerung schnell wieder verspielen. »Wenn sich am Ende herausstellt, dass »Superhirne? doch nicht so schlau sind und die Täter »so gar nicht der Vorstellung von Superhirnen, die der brave Banksparer hinter einem perfekten Banküberfall vermutet, entsprechen, dann werden sie umgehend demontiert«, schreibt Klaus Schönberger.
26 Kapitel - das bedeutet 26 verschiedene Meinungen zum Thema Bankraub. Eine Pluralität, die gewollt ist, denn der Herausgeber beabsichtigt, unterschiedliche Leser anzusprechen: vom freakigen Hausbesitzer über den Polizisten bis hin zum soliden Bankangestellten. Ein Anspruch, der sich bezahlt macht. Wechseln sich doch wissenschaftliche Aufsätze mit journalistischen Beiträgen, Porträts und Essays ab. Eine gelungene Mischung, die weder Monotonie noch Lesemüdigkeit auftreten lässt.
Diese Linie setzt sich auch im Layout fort. Verantwortlich zeichnet dafür ein weiterer gebürtiger Marbacher: Diethard Keppler, Sohn des Alt-Bürgermeisters Heinz Georg Keppler. Beiträge in den Beiträgen - so zum Beispiel kleinere Porträts oder Zeitungsmeldungen ? werden durch einen besonderen Schrifttypus und eine eigene grafische Gestaltung hervorgehoben. Eines bleibt von der ersten bis zur letzten Seite jedoch gleich: das lachsfarbene Papier. Eine Anspielung auf die Financial Times - die Zeitung, in der Geld das beherrschende Thema ist.
Klaus Schönberger setzt sich ernsthaft und glaubwürdig mit dem Thema Bankraub auseinander. Wenngleich an einigen Stellen versteckter Humor durchblitzt. So zum Beispiel im Beitrag »Bewegung 2. Juni«: »Trotz gewissenhaftester Suche war die Geldsumme, die später am Küchentisch gezählt wurde, gelegentlich geringer, als die am nächsten Tag in der Zeitung genannte. Der eine oder andere Kassierer wird sich auf den Schrecken hin ein übersehenes Bündelchen gegönnt haben.«
Die Ursache für das Delikt Bankraub sieht Schönberger in der »kapitalistischen Produktionsweise«. »Solange es sie gibt und alles Glück in der Maßeinheit Geld gemessen wird, wird es Banküberfälle und Bankräuber geben.« Für Bankräuber will der Herausgeber in seinem Buch jedoch nicht Partei ergreifen will. Schönberger: »Das kann ich jedoch nicht für alle Autoren behaupten. Die Autoren mit Sicherheit nicht für jeden Bankräuber.« Denn: Den klassischen Bankräuber gibt es nicht, sondern ganz unterschiedliche Typen.
Auch wenn man sich durch die ersten Seiten des Buches durchkämpfen muss und man ein Kapitel über die Opfer bei Überfällen vermisst, lohnt es sich, die Geschichte des Bankraubes aufzuspüren. Denn, Hand aufs Herz: Haben wir nicht alle schon einmal davon geträumt, in Geld zu schwimmen?
(ker)
*Eine Buchpräsentation von »Va Banque« findet am Samstag, 10. März, um 19.30 Uhr im Marbacher Schlosskeller statt.
aus: Marbacher Zeitung, 21.02.2001