Einführung in den Bankraub

Am Ende des Buches lesen wir, dass es schwer falle, eine ernste Angelegenheit wie den Bankraub humoristisch zu betrachten, wenn der Humor nicht schwarz genug sei. Harmlosigkeit und Verbrechen schlössen sich aus. (Das wusste Brecht zwar besser, aber das ist ein anderes Thema.) "Vabanque. Bankraub, Theorie, Praxis, Geschichte" hat seiner Präsentation im ZDF leider dieses Schicksal erlitten: Offenbar muss jedes Thema, das sich, in welcher Form auch, der Umverteilung des Reichtums annimmt, "humoristisch" aufbereitet, d.h. neutralisiert werden, damit es den ärmer werdenden Massen vor dem Fernseher zugemutet werden kann. Die AutorInnen können sich freuen, dass "Vabanque" Erwähnung fand in der Aspekte Sendung (http://www.zdf.de/wissen/aspekte/Archiv/41366/index.html) zur Frankfurter Buchmesse; aber warum muss das Buch als eine der skurrilsten Neuerscheinungen apostrophiert werden? Nachdem die Revolution als Expropriation der Expropriateure (Enteignung der Enteigner) nur noch ein Thema für Historiker sein darf, scheinen damit auch alle anderen Formen der Umverteilung von oben nach unten abstrus, womöglich so bizarr wie die Vorstellung durch normale Arbeit reich zu werden oder wenigstens einen gesicherten Lebensabend erwarten zu dürfen...

Das von dem Tübinger Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger herausgegebene Buch versammelt sehr unterschiedliche Textsorten. Mag ihnen eine "fröhliche Indifferenz" gegenüber akademischen Trennwänden gemeinsam sein, so hat das Buch dadurch nur gewonnen. Unserer Neugierde wird nicht nur eine kleine Galerie berühmter Bankräuber geboten, auch das analytische Bedürfnis wird befriedigt. Die Zugänge zu ihrem Sujet finden die AutorInnen historisch, theoretisch, von Seiten der Akteure und Akteurinnen(!), politökonomisch, technisch, regional und, wie es sich für eine kulturwissenschaftliche Publikation gehört, auch über den Zugang Bankraub in der populären Kultur. Entsprechend sind die Kapitel unterteilt, die Aufsätze durch Porträts der Bankräuber, Zeitungsschnipsel (v.a. aus der taz?!) und entsprechende Meldungen unterbrochen. (Leider sind die Bankangestellten als mögliche Opfer gewalttätigen Bankraubs wie als heimliche Sympathisanten nur en passant Thema, auch fehlt der Bankraub in der Popmusik.)
So unterschiedlich die Motive eines Bankraubs sind, seien sie politisch - Guerilla, Bewegung 2. Juni, die Legende um Stalin oder neofaschistisch - intendiert, oder verschieden wie die Bankräuber selber und ihre Vorgehensweise, so ist die Voraussetzung des Geldraubes doch die Existenz von Banken und einer konvertierbaren Währung, weswegen es z.B. in der DDR keine oder kaum Bankräuber gegeben haben soll. Selbstverständlich ist, dass Brechts Diktum aus der Dreigroschenoper immer wieder Erwähnung findet und sich fast wie ein roter Faden durch das Buch zieht: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?". Ergänzt wird dieser Satz durch eine weitere Gegenüberstellung: Was ist die Ermordung (und vielleicht Ausräuberung?) eines Mannes gegen seine Anstellung? Die Banken sind, wir wissen das, auf alle Fälle die Gewinner. Von den glücklichen Bankräubern wissen wir natürlich nichts; und von den gefassten ist wenig erfreuliches zu berichten: Für ihren Angriff auf's Allerheiligste des Kapitals bekommen sie extrem lange Haftstrafen, sofern die Ergreifung des Täters und seine Bestrafung nicht gleich verbunden werden - im Hinterhalt und Kugelhagel fanden die berühmtesten ihr Ende. (Das freilich zu ihrer Berühmtheit beigetragen hat.)

Verwunderlich ist, dass es über dieses interessante Thema bisher keine Kulturgeschichte bzw. eine kulturtheoretische Annäherung gab; von Fach- und Genreliteratur abgesehen. Hier zeigt sich die Originalität des kulturwissenschaftlichen Blicks auf die "Exotik des Alltags".
Der Bankraub führt die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Sphären zusammen, ohne sie jedoch versöhnen zu können. Der proletarische Bankräuber fällt spätestens dann der bevölkerungsgestützten allgegenwärtigen Überwachung auf, wenn er die Früchte seiner Mühen ernten will und ans Geldausgeben geht. Lottomillionäre sind vermutlich noch rarer als Bankräuber. Wie der Bankraub "technisch" im Zeitalter von E-Commerce und Sicherheitsüberwachung immer schwieriger werden dürfte bzw. andere elektronische Formen annimmt - der PC mit Internetanschluss ersetzt das Dynamit -, so ist eine andere Form der Erleichterung der Banken (und des Kapitals) in Vergessenheit geraten: Eine kräftige Tariferhöhung von 10 Prozent, eine korrekte Abrechung der geleisteten Arbeitszeit würde die Stimmung ebenfalls heben und möglicherweise verhindern, dass mancher auf dumme Gedanken kommen muss...

Einziger Mangel an dem liebevoll gemachten Buch ist seine kleine Schrift. Es eignet sich auch hervorragend als Geschenk; mir ist bei seiner Lektüre nie langweilig geworden.

Wolfgang Haible

Klaus Schönberger (Hg.), Va Banque. Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte. Verlag Schwarze Risse: Berlin 2000, 325 S. mit zahlreichen Abbildungen.

(aus: sozialismus Heft Nr. 12/Dezember 2000, 27. Jahrgang, Heft Nr. 240)