Kulturwissenschaft:

    Hände hoch! Geld her!

    Bankraub ist ein Verbrechen, das Menschen auch fasziniert - ein Soziologe (sic!) sucht nach Erklärungen

    Genauso wie der Lottogewin beflügelt auch der Banküberfall die Phantasien der Menschen vom schnellen Geld. Der Der Tübinger Klaus Schönberger hat sich diesem »gesellschaftlichen Phänomen« genähert.

    Bei seinen Überfällen ging er nicht gerade zimperlich vor, und die Erklärung für seine Verbrechen, die er in seiner Autobiografie niederschrieb, klingt banal: »Ich muss aufrichtig sagen, ich liebe das Geld. Ich bin nicht fähig, mit 2500 Francs im Monat auszukommen.« Trotzdem wurde der Bankräuber Jaques Mesrine nicht nur Frankreichs Staatsfeind Nr. 1, sondern auch so etwas wie ein heimlicher Volksheld.

    Wie es dazu kommen konnte? »Bankraub ist mehr als ein Delikt, es ist ein gesellschaftliches Phänomen«, sagt der Tübinger Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger. »Denn wer der Arbeit überdrüssig ist oder in finanziellen Schwierigkeiten steckt, der träumt vom Lottogewinn - oder eben vom Banküberfall.« »Va Banque« heißt der von ihm herausgegebene Sammelband, der sich mit Theorie, Praxis und Geschichte dieser Art der Geldbeschaffung auseinander setzt. Statt soziologischen Untersuchungen in Wissenschaftsdeutsch finden sich dort spannende Lesegeschichten. Porträts berühmter Räuber wie Bonnie und Clyde oder Martin Cahill wechseln mit kulturhistorischen Betrachtungen über die Entstehung des Deliktes, über regionale Traditionen wie Bankraub in der DDR oder über die ganz wenigen Bankräuberinnen.

    Die Idee zu dem Projekt kam dem 41-Jährigen bei einem Kinobesuch mit einem veritablen Ex-Tresorknacker. Zunächst war der Vorschlag nur als Spaß gemeint, aber bald wurde daraus Ernst. Schönberger suchte Autoren, stellte die Themen zusammen und fand schließlich auch einen Verlag, der bereit war, das Wagnis einzugehen. Inzwischen ist die erste Auflage vergriffen, eine zweite in Arbeit.

    Um Missverständnissen vorzubeugen, stellt der gebürtige Marbacher gleich mal klar: »Nicht jeder Bankraub fasziniert, es gibt auch wirklich üble Täter, wo es nichts zu heroisieren gibt.« Doch im Gegensatz zu Juristen und Kriminologen, für die jeder Bankraub gleich ist, kümmert sich der Kulturwissenschaftler um die Perspektive des Zuschauers. Und der mache sehr wohl einen moralischen Unterschied zwischen dem Täter, der nur einen schnellen »Kredit« braucht, um einen Handwerksbetrieb aufzumachen, und einem Lebemann, der mit der Beute sein sechstes Auto und einen Luxusurlaub finanzieren will.

    Oft überträgt das Publikum seine eigenen Wünsche und Fantasien auf diejenigen, die so ans schnelle Geld kommen. Beim berühmten Räuberpaar Bonny und Clyde handelte es sich keineswegs um gute Menschen, sondern um Kriminelle, die mordeten und raubten. Aber sie narrten die Behörden und verkörperten damit auch »den Traum von der Rebellion gegen die da oben«. So wurden sie zum Mythos, den Klaus Schönberger mit seinem Buch dekonstruieren will.

    Die heimliche oder offene Bewunderung für die Räuber geht oft einher mit geringem Mitleid für die Banken. Sie gelten vielen Menschen ohnehin als raffgierige, anonyme Institutionen, mit denen jeder selbst schon mal schlechte Erfahrungen gemacht hat. Dazu kommt, dass bei einem Überfall ja niemand persönlich um sein Geld gebracht wird. »Letztlich sind das für die doch Peanuts«, meint Schönberger.

    Je professioneller die Bankräuber vorgehen, desto seltener werden sie erwischt. Insofern sei »Geldschränke knacken seit jeher Elitekriminalität«. Es bedürfe nicht nur guter Ideen, sondern auch einer professionellen Umsetzung. Neben Waffen, Fluchtauto und Maskerade besonders wichtig: entschiedenes Auftreten. Wer angesichts seines Kontoauszugs aus Verzweiflung in die nächste Sparkassenfiliale stürmt, mit dem Zeigefinger seine Jackentasche ausbeult und »Geld her« brüllt, hat schlechte Karten. Dann, so Schönberger, könne es auch zu kniffligen Situationen kommen, die »der Gesundheitsvorsorge aller Beteiligten« nicht gerade förderlich seien. Aber Schönberger wäre nicht Wissenschaftler, wenn ihn nur die Praxis interessieren würde. Die »Aufklärung über die gesellschaftlichen Verhältnisse« ist sein Ziel. Auch dafür eignet sich das Phänomen Bankraub. Als Eigentumsdelikt erschüttert es die Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft und wird deshalb hart bestraft. Auf der anderen Seite schafft genau diese Gesellschaft erst die Verlierer, die ihre Schulden schnell wieder loswerden wollen. »Jeder kann es also sein«, sagt Schönberger. »Quer durch alle Schichten.« Oder, wie es in einem dem Posträuber Ronnie Biggs gewidmeten Song der Sex Pistols heißt: »No one is innocent - keiner ist unschuldig.«

    Michael Gerster

    aus: Stuttgarter Nachrichten, 10.03. 2001