Faszination Selbstbedienung: Bankraub – Theorie und Praxis

Banken gehören ganz sicher in den Wirtschaftsteil einer Zeitung. Doch wie sieht es mit dem Bankraub aus? Er schafft es nur selten in den Business-Teil. Wie das dann aber doch mal passieren kann, sehen Sie auf Seite 23.

Der Überfall als konkrete Utopie im Sinne Ernst Blochs

Ein Tübinger Buch beschäftigt sich mit der Theorie und Praxis des erfolgreichen Bankraubs

TÜBINGEN (mi). Die weltweit wohl berühmtesten Tresorräuber treten erst gegen Ende mit einem eigenen Kapitel auf: die Panzerknacker aus Entenhausen. Seit mehr als 50 Jahren rennen sie sich an Dagobert Ducks Geldspeicher die Köpfe ein, und bleiben doch immer erfolglos. Diese Hartnäckigkeit, aber auch ihre Dummheit und brachiale Gewalt, unterscheidet die Comic-Panzerknacker von vielen raffinierten Bankräubem im echten Leben nicht aber ihre Erfolglosigkeit. Denn wohl bei keinem anderen Eigentumsdelikt sind die Aufklärungsquoten (und die Strafen!) so hoch wie beim Bankraub.

Dennoch geht von Banküberfällen (zumindest von erfolgreichen und unblutigen) eine unbestreitbare Faszination aus. Spielfilme ("Die Gentlemen hitten zur Kasse"), Romane, Werbung und Legenden handeln von der Intelligenz und dem handwerklichen Geschick der "Schränker" und verhehlen dabei nicht ihre Sympathie. Diesem Reiz geben sich auch die meisten Autor(inn)en des neuen Sammelbandes "Va Banque" willig hin. Zwar koketiert der Herausgeber, der Tübinger Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger, mit Begriffen wie "wissenschaftliche Neutralität" und "fröhliche Indifferenz". Aber die Sympathie mit den "underdogs", die sich in einem Vabanque-Spiel mit hohem Einsatz und hohem Risiko holen wollen, was ihnen zum guten Leben fehlt, zieht sich durch das Buch.

So versteht Schönberger Banküberfälle als "konkrete Utopie im Sinne Emst Blochs (...) im Gegensatz zum Warten auf den Lottogewinn, das zur Passivität verdammt". Unabhängig von den konkreten Motiven des jeweiligen Täters sei ein Bankraub zudem ein Ausdruck eines diffusen "Sozialprotests gegen die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums". Es ehrt den Herausgeber, dass er die zahlreichen, über die 325 lachsfarbenen Seiten verstreuten "Praxis"-Beispiele nicht auf dieses Interpretations-Muster zurechtstutzte. Darin werden legendäre Bankräuber (von den Berliner Gebrüdern Sass bis zur US-Millionärstochter Patty Hearst) und skurrile Anekdoten geschildert.

Als echter Praktiker gibt sich jedoch nur einer der insgesamt 39 Autoren (davon elf aus Tübingen) zu erkennen. Klaus Viehmann erzählt, wie seine linksradikale Westberliner "Bewegung 2. Juni" in den 70er ]ahren "Banken machte". Und in einem weiteren Kapitel über einen "fiktiven Raub" in der Gegenwart gibt er allerhand Tipps, wie sich vermeintlich allmächtige Überwachungs- und Labor-Techniken der Kripo austricksen lassen.

Vermutlich nur aus zweiter Hand beschreibt die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Timm verschiedene Maskierungen vom Nylonstrumpf bis zur Genscher-Maske "eine kleine Trachtenkunde des Bankraubs". In einem weiteren Kapitel unternimmt sie einen unterhaltsamen Streifzug durch mehrere kriminologische Standardwerke. Dabei weist sie nach, wie dort Bankraub geradezu zwanghaft nur als Ausdruck von psychischer Krankheit verstanden und jeder gesellschaftliche Kontext ausgeblendet wird. Timms Fazit: "Nicht der Bankräuber ist schizophren ...." - sondem die herkömmliche Kriminalwissenschaft.

Ähnlich voreingenommen wie die Kriminologen berichten die Massenmedien, jedenfalls über die (seltenen) Fälle, in denen Frauen an Überfällen beteiligt sind. Dann "mutiert der Bankraub zu einem sexuellen Akt", schreibt Franziska Roller in ihrem Kapitel über "Bank-Ladies" und zitiert einen Stern-Artikel über eine Serientäterin der 60er Jahre: "Es war immer ein erregender Augenblick, wenn Gisela W. ihre dünnen Lederhandschuhe anzog, die so weich waren und so gefühlsecht."

Einen erotischen Kitzel heim Banküherfall kennt auch das Kino jedenfalls beim Gangster-Klassiker "Bonnie Clyde" (1967). Für TAGBLATT-Filmkritiker Klaus-Peter Eichele repräsentiert dieser Film "ein neues Ideal von Anti-Autorität und (auch erotischer) Freiheit", gefolgt von weiteren Filmen in den 70er Jahren, die Banküberfälle als "Anlass für umfassende Sozialkritik" nahmen. In den 90er Jahren war Schluss mit dieser "sozialarbeiterischen Gesinnung", schreibt Eichele in seiner "kleinen Typologie des Kino-Bankraubs". Die Täter sind jetzt keine Volkshelden mehr, sondem planen tote Geiseln und Schusswechsel mit der Polizei von vorneherein ein. Eichele über Quentin Tarantinos "Reservoir Dogs" (1991): "Die Gangster mit ihren uniformen schwarzen Anzügen erscheinen wie Karikaturen von Konzem-Managern. Ihr Raubzug ist durchgeplant wie ein Business-Deal." Das erinnert wiederum an die Entenhausener Panzerknacker: Auch diese Bande firmiert als "AG".

Klaus Schönberger (Hg.): "Va Banque - Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte", Verlag Libertäre Assoziation, 325 Seiten, 34 Mark. Am heutigen Dienstag, 31. Oktober, um 20 Uhr präsentieren mehrere Autor(inn)en das Buch im Reutlinger Cafe Nepomuk.

(Schwäbisches Tagblatt, 31.10.2000)