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Katharina Kinder

Adam Worth – der Napoleon der Unterwelt


»Er ist der Napoleon der Unterwelt, Watson. Die Hälfte des Bösen in dieser großen Stadt und fast alles, was hier unentdeckt bleibt, hat er organisiert.«
Sherlock Holmes über Professor Moriarty in »The Final Problem« von Sir Arthur Conan Doyle.

Im Jahr 1869 entkamen Adam Worth und sein Partner »Piano« Charley mit fast einer Million Dollar in Geld und Wertpapieren, die sie aus der Boylston Bank in Boston geraubt hatten, nach Europa. Als angebliche Verkäufer des Heilmittels »Gray's Oriental Tonic« waren sie unterirdisch zum Tresorraum der an ihr Geschäft angrenzenden Bank vorgedrungen – unbemerkt, denn sie hatten sich durch 200 im Schaufenster aufgetürmte Flaschen des Tonikums vor neugierigen Blicken geschützt.

Mit dem Geld etablierte sich Worth in London als reicher Gentleman mit sehr luxuriösem Lebensstil, er verkehrte in aristokratischen Kreisen und gab große Dinnerparties. Kaum jemand ahnte, daß er ein Doppelleben führte und zugleich zu einer Art internationaler Leitstelle für Verbrechen avancierte. Die Pinkerton-Detektive waren wohl die einzigen, die ihm auf der Fährte waren; sie hielten ihn für den »bemerkenswertesten, erfolgreichsten und gefährlichsten Berufsverbrecher, den die moderne Zeit kennt« und stellten fest, daß sein Haus zum »Stelldichein für berühmte Gauner aus der ganzen Welt, vor allem aus Amerika, und zum Umschlagplatz oder zur Auffangstelle für die Ernte und die Akteure der meisten großen Raubdelikte, die in Europa begangen wurden« geworden war. Scotland Yard dagegen zeigte sich relativ hilflos und Worth behauptete, daß der zuständige Inspector Shore »ein mächtiger Trottel und ein Gespött für ganz England« sei. Verbrechen auf der ganzen Welt – von Kapstadt bis Jamaika – wurden in seiner teuren Wohnung in Piccadilly geplant. Die Spezialität des Kreises um Worth war allerdings der Diebstahl eingeschriebener Postsendungen, meist aus Panzerschränken in Eisenbahnzügen, Betrug mittels Fälschungen und Bankraub. In den 1880er Jahren plante und organisierte Worth zahllose Coups und führte sie oft selbst aus, wie zum Beispiel den Raub von zwei Postsäcken mit Diamanten, die er im Postamt von Hatton Garden in London stahl, nachdem sein Komplize im Keller das Gas abgestellt und das Postamt dadurch in Dunkelheit getaucht hatte. Weniger erfolgreich war der Versuch, noch einmal in Amerika abzusahnen: Der gesprengte Safe einer Bank in Sacramento enthielt nur 4.000 Dollar – dafür wurden 1889 bei einem Überfall auf den Güterzug von Brüssel nach Ostende zwei Millionen Francs in Juwelen und Bargeld erbeutet.

Worth, Sohn armer deutsch-jüdischer Einwanderer aus Massachusetts, schwamm förmlich in Geld. Durch seinen aufwendigen Lebensstil und seine legendäre Großzügigkeit (Zeitgenossen berichteten, Worth hätte zeitweise fast seinen ganzen Bekanntenkreis alimentiert) benötigte er allerdings auch entsprechende Summen. Seine Organisation hatte die Gestalt einer regelrechten Verbrechenspyramide. Worth, in der Funktion eines pater familias an der Spitze, führte sie mit strenger Disziplin. Es waren keine Trinker zugelassen und Gewalt verabscheute Worth: »Ein Mann mit Verstand hat nicht das Recht, eine Schußwaffe zu tragen.« Es bleibt ein Rätsel, warum Worth 1892 so leichtsinnig war, ohne richtigen Plan und zudem mit unzuverlässigen Komplizen, einen schwer bewachten Geldtransport in Belgien zu überfallen. Er wurde in Lüttich verhaftet und zu sieben Jahren Einzelhaft und Zwangsarbeit verurteilt. Von der grausamen Behandlung im Gefängnis erholte er sich nie, zum Zeitpunkt seiner Entlassung war er an Tuberkulose erkrankt und wohl auch seelisch gebrochen. Seine Frau, ohne jede Kenntnis seines Doppellebens, hatte durch den Schock über seine Verhaftung den Verstand verloren. 1902 starb Adam Worth 58jährig als vergleichsweise armer Mann. Unsterblich wurde er jedoch durch Sir Arthur Conan Doyle, der ihn als Vorbild für die Figur des Professor Moriarty verwendete, den einzig würdigen Gegenspieler seines Helden Sherlock Holmes.

1999 gab es Berichte, daß Robert Redford die Hauptrolle in einem Film mit dem Titel »Napoleon of Crime: The Life and Times of Adam Worth, Master Thief« übernehmen will.


Quellen und Literatur:
Geringer, Joseph: Adam Worth. The World is in his Pocket. URL: http://www.crimelibrary.com/classics/worth/index.html
Macintyre, Ben: Der unglaubliche Mr. Worth. Ein Gentlemanverbrecher der guten alten Zeit. München 1997.



 
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