"Früher boten unsere Politiker uns Träume von einer besseren Welt. Heute versprechen
sie, uns vor Alpträumen zu beschützen". Adam Curtis,
The Power of Nightmares
(BBC 2004)
"Star Trek's 9/11": 7 Mio. Menschen sterben zwischen Florida und Venezuela. |
Neben dem globalisierten 9/11-Ereignis lassen sich im fiktionalen Paralleluniversum der dritten Staffel besonders in den Akteuren und ihrer Denk- und Handlungsweisen weitere weltpolitische Wiedererkennungsmerkmale ausmachen. So zeichnen sich etwa die Reptilianer, mit den Insektoiden an ihrer Seite, nicht allein durch charakterliche Eigenschaften als Hardliner im Rat der Xindi aus, die offensichtlich der irdischen Populärzoologie entnommen wurden. Sie sind die treibenden Kräfte hinter der prä-emptiven Strategie, den angeblichen Schurkenplaneten Erde und all seine Kolonien zu vernichten. Die gepanzerte Lebensform scheint sich allein aufs Kriegshandwerk zu verstehen und denkt auch so: Sie misstraut allen Abweichungen von ihrem paranoischen Wirklichkeitskonstrukt und handelt im Zweifel auch gegen demokratische Mehrheiten im Alleingang.
Unschwer ist in den Reptilianern eine Karikatur der neokonservativen Bush-Administration zu erkennen. Eine Karikatur, die sich aus der puren Arroganz und dem Hang zum Militarismus der realen Konstruktion "Bush-Regierung" speist. Auf Gottesanrufung und abendländische Befreierideologie wurde genauso verzichtet, wie auf Schlips und Kragen. Es handelt sich um eine Dekonstruktion mit dem Vorschlaghammer, die den Hass von US-Linken auf die Neocons nicht deutlicher wiedergeben könnte.
Reptilianer mit Schlips & Kragen: Vizepräsident Cheney, Präsident Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld. |
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In dem zerrissenen Charakter Degra begegnen wir einer außergewöhnlichen Persönlichkeit aus der jüngeren US-Geschichte. Der Atomphysiker Robert Oppenheimer gilt als der Entwickler der Atombombe, die die US-Air Force 1945 über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki abwarf. Oppenheimer machte später eine 180-Gradwendung, stellte sich in den 50er Jahren - mitten in der McCarthy-Ära - gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe und sprach sich bereits damals für internationale Rüstungskontrolle aus. Mit seinem "Alter Ego" steht Degra damit für ein anderes Amerika, das in der Lage ist, die katastrophalen Folgen seines Handelns zumindest rückblickend zu erkennen und seine Weltsicht entsprechend zu korrigieren.
Anders als all seine Vorgänger/innen aus der Zukunft, kann Captain Jonathan Archer sich nicht auf den überzeugenden Charme von Verhandlungsangeboten verlassen, die sich auf die Ausstrahlung einer erfolgreichen wie mächtigen Friedensallianz wie der Föderation stützen kann. Die Enterprise NX-01 ist auf sich selbst gestellt und zudem mit relativ unterentwickelter Raumfahrt- und Waffentechnik unterwegs. Erschwerend kommt die besondere Unwirtlichkeit der delphischen Ausdehnung hinzu, die den Kriegszustand nicht auf Kontakte mit den Xindi beschränkt sondern permanent macht. Der Auftrag Archers ist so fantasielos wie eindeutig: "Schützen Sie die Erde vor einem zweiten, endgültigen Vernichtungsschlag, was immer es auch kosten möge!" Vor diesem Hintergrund versucht der gutwillige Humanist Archer alles in seiner Macht stehende, seine Mission auf die Ausschaltung der Massenvernichtungswaffe der Xindi zu konzentrieren ohne in einen interstellaren Rachefeldzug abzugleiten und gleichsam das Feindbild der Xindi von der skrupellosen Spezies zu bestätigen.
In Die Ladung gelingt es dem Captain dieser Maxime folge zu leisten. Er landet mit einem Außenteam auf einer Xindi-Kolonie auf der die Chemikalie Chemozid für den Bau des Planetenzerstörers hergestellt wird. Sie überfallen den Chefingenieur, das Xindi-Faultier Gralik, in dessen Haus. Im folgenden Verhör versichert er, nach Vorlage eines Beweises für den Xindi-Angriff auf die Erde, von den massenmörderischen Absichten seiner Kunden keine Ahnung gehabt zu haben und mit seiner Hände Arbeit auch künftig nicht an diesen beteiligt sein zu wollen. Nachdem Archer und Gralik eine gemeinsame Flucht vor Aufklärungsdrohnen der Reptilianer hinter sich haben, gelingt es ihnen, das Misstrauen hinter sich zu lassen und sich dem Wagnis des gegenseitigen Vertrauens und der Kooperation zu stellen. Gralik sabotiert die Chemozidladung für den Bau der Massenvernichtungswaffe, Archer heftet im Schatten eins Ablenkungsmanövers des Chemikers einen Peilsender an die Ladung.
Chemiker Gralik: "Denken Sie daran, nicht alle Xindi sind ihre Feinde". |
Archer gerät jedoch immer wieder in Situationen, die ihn mit einem ethischen Dilemma konfrontiert, das dem von Degra gar nicht so unähnlich ist: Für die Rettung der Erde sieht er sich nicht nur einmal dazu genötigt, gegen seine Überzeugungen zu handeln. Am dramatischsten in der Episode Anomalie in der Weltraumpiraten die Enterprise überfallen und Ausrüstung mitgehen lassen, ohne die die Rettungsmission schon bald scheitern muss. Archer verhört einen gefangenen Piraten über die Xindi, über die sie zu diesem Zeitpunkt so gut wie noch nichts wissen. Der Gefangene zieht den Sternenflottenoffizier als Neuling in der Ausdehnung damit auf, noch zu zivilisiert zu sein, um ihn mit Folter zum Reden zu zwingen. Das Verhör spitzt sich zu und gipfelt darin, dass Archer sein Gegenüber packt, in eine Luftschleuse wirft und mit der Dekompression beginnt. Er geht bis zum Äußersten um an die Informationen zu kommen indem er dem Gefangenen den Sauerstoff bis zu einem kritischen Punkt entzieht.
Camp X-Ray: Ein Gefangener wird von US-Soldaten zum Verhör abgeführt. |
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Im weiteren Verlauf der Staffel spielt der (anti-) humanistische Tabubruch Archers in der Begegnung mit dem Bürgerkriegskommandanten D'Jamat in Das auserwählte Reich eine wichtige Rolle. D'Jamat kapert die Enterprise nach Hamas-Vorbild mit einem Selbstmordkommando. Er will das Schiff als mächtige Waffe einsetzen, um den Glaubenskrieg auf seinem Planeten Trianon endgültig für sich zu entscheiden. Darauf, wie schmal der beschrittene Grat zwischen Humanität und Barbarei tatsächlich ist, wird der Captain ausgerechnet von einem ausgemachten Wahrheitsfundamentalisten wie D'Jamat gestoßen, der sein barbarisches Handeln ebenfalls mit der Rettung seines Volkes legitimiert. Unter dem Ausnahmezustand des Krieges droht der Unterschied zwischen den Vorgehensweisen von Fundamentalisten und Linksliberalen bis zur Unkenntlichkeit zu verschwimmen: Beiden dient der Zweck dazu, die Mittel zu heiligen. Beide erkennen die Menschlichkeit ihrer Opfer zwar an, sehen diese jedoch vor dem jeweiligen Ziel ihrer Missionen außer Kraft gesetzt.
Um sich von dieser Umarmung zu befreien, geht Archer abermals bis zum Äußersten: Als D'Jamat für die Erforschung der mondgroßen Sonden, die die Ausdehnung beherrschen und die zentralen Kultobjekte im Glauben der Trianoner darstellen, Sühne im Form eines Menschenopfers verlangt, fällt Archers Wahl zum Schutz seiner Crewmen auf sich selbst. Auch wenn Archer dem Todesurteil mit einer List entgehen kann, seine Offerte war durchaus ernst gemeint. Denn dem Humanisten wird in der Anarchie des Kriegszustands nicht nur zugemutet, dem Gegner im Zweifel mit äußerster Härte entgegenzutreten, sondern ebenso sich und sein Leben dem Kriegsziel, die eigenen Leute zu schützen, in letzter Konsequenz unterzuordnen.
Echo der Schizophrenie: Archer als Kämpfer für das Völkerrecht. |
Das humanitäre Völkerrecht hallt aus der Vergangenheit wider, kommt in der Gegenwart als Echo der Schizophrenie an und wird für den gegnerischen Nachwuchs zur Rettung bis zur letzten Minute. Dem steht die Kriegslogik gegenüber, das Humanitätsgebot dem nackten Existenzkampf der eignen Lebensform zu opfern; an dieser Stelle von der Vulkanierin T'Pol verkörpert. Ein paranoider Zweckrationalismus, dem der Blick fürs Ganze abgeht. Das präföderale Subjekt wird in der Person von Archer zwischen humanistischer Überzeugung und der scheinbaren Alternativlosigkeit zur Barbarei aufgerieben. Unter derartigen Anforderungen muss es verrückt werden.
Dieses Motiv spielen Archer und T'Pol einige Male und mit wechselnden Rollen durch. T'Pol wird zur Drogenabhängigen nachdem ihre vulkanische Konditionierung durch eine Raumanomalie in Impulsiv geschwächt wurde und sie unbekannten Emotionen aussetzt. Dermaßen geschwächt stellt sie sich in Beschädigungen Archer erfolglos entgegen, der den Diebstahl der Warpgondeln der militärisch unterlegenen Illyrer befiehlt. Hier schließt sich der Kreis zu den Piraten aus Anomalie: Die präföderale Sternenflotte ist an diesem Punkt zum Ebenbild ihrer Gegner geworden.
Keine überzeugende Alternative im Angebot: Wahlkampfverlierer Kerry. |
Verliert also der Captain Archer der dritten Staffel zu Recht an Quote wie Kerry das Weiße Haus weil es ihm nicht gelang, eine überzeugende Alternative zur neokonservativen Angstideologie der Bush-Administration zu entwickeln (vgl. Daniel Kothenschulte: Offene Improvisation)? Vorausgesetzt, es gibt ein Bedürfnis nach einer solchen Alternative in der Mediendemokratie der USA - wovon wir ausgehen, hätte zwar nicht die Archer-Figur an sich, sondern der Showdown der letzten sieben Folgen als Ganzes durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient.