Trekkie of the Month Oktober 2005: Slavenka Drakulić

Memorial-Preis für die Aufrichtigkeit des Erinnerns

Mit ihrer April diesen Jahres in deutscher Übersetzung erschienenen Reportage Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht legt die Autorin Slavenka Drakulić eine genaue Studie von Täterpersönlich­keiten vor, deren Verhalten sie anlässlich des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag als Zeugin der Anklage und Prozessbeobachterin monatelang aufmerksam verfolgt hat.

Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass es keineswegs Hass und fanatisierter Nationalismus sind, die aus Menschen, die unsere Nachbarn und Freunde sein könnten, Massen­mörder machen. Änlich wie Hannah Arendts Entdeckung der Banalität des Bösen anlässlich des Eichmann-Prozesses, stellt Drakulić fest, wie erschreckend 'normal' und indifferent die Mörder sind. Dabei stellt sie immer wieder die Frage, was geschehen muss, bis jemand "in seinem Kollegen oder Nachbarn einen Feind sieht".

Mit ihrem Bemühen, das verdrängte Grauen der Auflösungskriege in Ex-Jugoslawien wieder in die Wahr­nehmung Europas zu rücken, hat die Schriftstellerin, die sich bereits seit zwölf Jahren der Mission verpflichtet fühlt, sich dem Ungeheuren der während der Kriege begangenen Massaker zu nähern, dieses Jahr anlässlich der Eröffnung der Leipziger Buchmesse den Buch­preis zur Europäischen Verständigung erhalten.

In der Voyager-Episode Memorial wird die Crew nächtens von seltsamen Albträumen heimgesucht, die so real wirken wie Erinnerungen. Es geht dabei stets um ein Massaker, an dem sämtliche Träumende verwickelt sind - als Täter!

Beunruhigende Zeitzeugenschaft. Kim untersucht das interaktive Denkmal.

Nachdem sich herausgestellt hat, dass alle Beteiligten vom selben Geschehen träumen, macht sich die Voyager mit einer gleichermaßen erschöpften wie traumatisierten Crew auf die Suche nach der Quelle der Kollektivphantasien. Auf einem nahegelegenen Planeten entdecken Janeway und Chakotay schließlich einen steinernen Obelisken, der Energiesignale aussendet. Die Gegend um dieses Monument herum ist der Tatort der Albträume. Den weiteren Nachforschungen zufolge enthält der Obelisk einen synaptischen Emitter, der neurogenische Impulse in das Sternensystem sendet. Dadurch wird jeder, der durch dieses System fliegt, das Massaker erleben, ganz als hätte er selbst daran teilgenommen. Die Übersetzung einer Inschrift des Denkmals enthält eine kryptische Erklärung der Erbauer des Denkmals:

Worte allein können die Qual nicht übermitteln.
Worte allein können nicht verhindern, dass wieder geschieht was hier geschehen ist.
Jenseits der Worte liegt die Erfahrung
Jenseits der Erfahrung liegt die Wahrheit
Macht diese Wahrheit zu der Euren.


Als Konsequenz dieser Entdeckung führt die Crew eine sehr kontroverse Diskussion darüber, was mit dem Denkmal, das seit zweihundert Jahren nicht mehr gewartet wurde und dessen Energievorrat zu Ende geht, zu geschehen habe. Janeway trifft schließlich die salomonische Entscheidung, die Energie­zellen des Denkmals zwar wiederaufzuladen, aber auch eine Warnboje im Orbit des Planeten zu hinterlassen, die unbedarft vorbeifliegenden Schiffen ankündigt, was sie in diesem System erwartet.

Sich schonungslos mit der Wahr­heit zu konfrontieren, erfordert viel Mut. Einen Mut, den die Voyager-Crew bestimmt nicht freiwillig aufgebracht hätte. Einmal konfrontiert, ist es jedoch nicht mehr möglich, Unwissenheit als Entschuldigung anzuführen. Ähnlich wie die Crew der Voyager keine Wahl hat, mit den Tat­sachen konfrontiert zu werden, macht uns Slavenka Drakulić erneut bewußt, wie wenig uns von dem Monströsen trennt, das Menschen einander antun.

Für ihre Verdienste um die Genauigkeit der Erinnerung und die Konfrontation mit der Wahrheit verleihen wir Slavenka Drakulić den Memorial-Preis für die Aufrichtigkeit des Erinnerns (b.).

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