Trekkie of the Month September 2004: Stephen King

Benny-Russel-Preis für ein Lebenswerk im Geiste von Star Trek

Schläft nicht: Stephen King Anlässlich seines 57. Geburtstages am 21. September möchten wir den "Master of Horror" Stephen King als Trekkie of the Month September 2004 ehren. Die Romane Stephen Kings sind mehr als "nur" brillante Phantastische Literatur. Vielmehr sind sie getragen von einer ganz eigenen Weltsicht, die einerseits schonungslos gesellschaftliche Missstände in den Vereinigten Staaten (und weltweit) des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts analysiert, anderseits aber auch Lösungsmöglichkeiten aufzeigt, diese zu überwinden. In der äußerlichen Art seines Vorgehens, nämlich ein populäres Genre als Trägermedium einer kritischen Analyse und Vision zu nutzen, aber auch inhaltlich ist Stephen King nah bei den Methoden und Visionen des Vaters von Star Trek, Gene Roddenberry.

Das Herz Stephen Kings gehört den Außenseitern, also den ethnischen Minderheiten, den Behinderten, den sozial Benachteiligten, den von einer strukturell patriarchalisch organisierten Gesellschaft unterdrückten Mädchen und Frauen und all jenen, die einfach nur schwächer und weniger "cool" als ihre Umwelt sind und deshalb stigmatisiert wurden. In Romanen wie Carrie und Christine zeichnet King, trotz aller übernatürlicher Phänomene (Telekinese und eine Art Vampir-Auto) mit beunruhigendem Realismus und Schärfe nach, wie Außenseiter an der Gesellschaft scheitern. Am Schluss ist zwar das "Böse" besiegt, aber eigentlich nur in der Form, dass diejenigen, die als Böse stigmatisiert wurden, nämlich die Außenseiter, tot am Boden liegen. Dadurch wandelt sich das eigentliche Happy-End in sein Gegenteil: Nicht das Böse wurde bekämpft, ganz im Gegenteil - in Form bürgerlicher Repressivität hat es triumphiert.

Die Außenseiter im Blick: Stephen King Der Sieg über die telekinetisch begabte und zur Außenseiterin abgestempelte Carrie White ist nicht der Sieg des Guten sondern die Wiederherstellung der von Carrie bedrohten Normen, die sich zwar hinter dem Deckmantel der Liberalität als demokratisch zu tarnen vermögen, aber jederzeit, wie King in seinem Roman Das Attentat zeigt, ins Faschistoide umschlagen können. In diesem Roman schildert King den Kampf eines Hellsichtigen gegen einen konservativen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten in dem er einen neuen Adolf Hitler erkennt. Wohl nicht zufällig hat der ehemalige Star Trek-Produzent Michael Piller diesen Roman zur Vorlage der in den USA sehr erfolgreichen Fernsehserie Dead Zone (so der Originaltitel des Romans) genommen. Nicht zuletzt die Romane, die King in den frühen 70er Jahren unter dem Pseudonym Richard Bachmann geschrieben hat zeigen einen sehr kritischen Blick auf damals noch anstehende US-Filmplakat von ES gesellschaftliche Entwicklungen.

Der Roman Der Todeslauf, inhaltlich nicht unähnlich dem legendären deutschen TV-Film Das Millionenspiel, überspitzt schonungslos die Perversion einer nur noch auf die zielgruppenrelevante Einschaltquote schauenden Mediengesellschaft, die selbst vor dem öffentlichen Hinschlachten eines Menschen nicht zurückschreckt wenn dies die Werbeeinahmen steigert.

Aber King prangert nicht nur an, er macht auch Hoffnung. Der Ausweg aus der von einer Wettbewerbsgesellschaft aufgezwungenen Vereinzelung des Individuums besteht in der Solidarisierung mit Anderen. In dem Moment, in dem eine Gruppe von Außenseitern sich solidarisiert, kann sie das Böse überwinden. So idealtypisch aufgezeigt in dem großartigen Roman Es, in dem die "Glorreichen Sieben", ein Jude, ein Schwarzer, ein Stotterer, ein Übergewichtiger, ein asmathisches Muttersöhnchen, ein Brillenträger und ein von ihrem Vater missbrauchten Mädchen gleich zweimal die Kleinstadt Derry vor dem Untergang retten.

Solidarität durch Gitterstäbe hindurch. Szene aus 'The Green Mile' Darüber hinaus nimmt King auch zu konkreten Fragen Stellung. In "The Green Mile" prangert er die Unmenschlichkeit der Todesstrafe an, in "The Tommyknockers" den Wahnsinn des atomaren Wettrüstens in den 70ern und frühen 80er Jahren.

Aber nicht nur als Literat, auch als Mensch verkörpert Stephen King echten Star Trek-Geist. Die entwaffnende Offenheit, in der er in Interviews über seine Alkohol- und Tablettenprobleme spricht, seine Versuche sie zu überwinden und die Rückschläge aber auch Erfolge, die er dabei erfahren hat, ermutigen Menschen in ähnlicher Situation, sich nicht hängen zu lassen, sondern Hilfe zu suchen und sich auch von eigenen Rückschlägen im Umgang mit ihren Suchtproblemen nicht unterkriegen zu lassen. Dass King dabei immer wieder die Wichtigkeit der Hilfe seiner Frau Tabitha und seiner Familie betont ohne die er seine Sucht nicht hätte in den Griff bekommen hätte zeigt, dass King sich seiner Abhängigkeit von seinen Mitmenschen bewusst ist. In mehreren Interviews hat er deutlich gemacht, dass er nicht der wäre, der er ist wenn er nicht die Solidarität seiner Familie und seiner Freunde erfahren hätte. Diese Solidarität ist ihm wichtiger als sein persönlicher Ruhm als Schriftsteller. Menschen in prekären Situationen können durch solche Aussagen ermutigt werden, sich anderen Menschen anzuvertrauen und selber Solidarität zu erfahren und zu leben.

Benny Russel alias Cpt. Benjamin Sisko Für seine kritischen Gesellschafts-
analysen, aber auch für seinen Mut machenden Einsatz für eine bessere Welt, die durch Solidarität erreichbar ist, überreichen wir Stephen King für sein bisheriges Lebenswerk im Geist von Star Trek den Benny-Russel-Preis. In der DS9-Episode Jenseits der Sterne wird Captain Benjamin Sisko durch einen Unfall in ein Koma versetzt, das er in Form einer Vision von einem alter ego durchlebt. Dieses alter ego ist der schwarzer Science- Fiction-Autor Benny Russel, der in den von Rassismus geprägten 1950er Jahren in New York lebt. Benny Russel erträumt sich in einer Romanserie über eine ominöse Raumstation Namens "Deep Space 9" im 24. Jahrhundert eine Welt, in der Gleichheit und Gerechtigkeit herrschen und in der ein Schwarzer Captain werden kann, ohne dass daran irgend jemand Anstoß nehmen würde. Das 1950er alter ego scheitert, seine Romanserie wird nicht veröffentlicht, doch lässt er sich seinen Traum von einer besseren Welt mit gleichen Rechten für alle selbst in dem Moment nicht nehmen als anlässlich einer Demonstration rassistische weiße Polizisten auf ihn einprügeln.

Happy Birthday, Stephen und schenke uns noch viele Mut machende Bücher! (m)