Welchen Kurs nimmt Captain Archers Enterprise?
ENT QUO VADIS, Staffel 1: Eine Bestandsaufnahme
von Living Trekism
TV-Guide: Übernahme der Brücke. |
Anlass genug, um Möglichkeiten und Schwächen des im 22. Jahrhundert angesiedelten Szenarios auszuloten und die bereits angedeuteten Entwicklungslinien in Richtung des bereits etablierten ST-Kosmos auszumachen. Letzteres wird innerhalb von Living Trekism vor allem in Form von Episode-Reviews verhandelt werden, während der Episode-Guide dazu dient, sich innerhalb der Serie zurechtzufinden. Dabei wird die Kenntnis der Episoden nicht zwingend vorausgesetzt, denn nicht zuletzt soll dieses Webangebot Lust darauf machen, sich auf das Abenteuer der Transformation einer rückständigen Welt zur Föderation der Planeten einzulassen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Es soll hier nicht darum gehen, das Erbe Gene Roddenberrys einfach zu konservieren oder als Hüter-Instanz des bereits Erreichten zu bewachen. Wir verstehen uns ebenfalls nicht als deutschsprachige Werbeagentur der Paramount Studios oder irgendwelcher Fernsehsender. Ob und wann ENT auch hierzulande kommerzielle Erfolge erzielen wird, davon sind wir als Trekker dank des planetarisch organisierten ST-Fandoms schlicht nicht abhängig. TransfictionTrek.Net macht sich stattdessen zur Aufgabe, einen Beitrag dazu zu leisten, der ST-Philosophy einen Weg in die nähere Zukunft zu bahnen. Eine Philosophie, die nicht nur Garant für den faszinierensten SF-Kosmos unserer Tage ist, sondern auch Möglichkeiten aufmacht, über die Probleme menschlicher Existenz am Anfang des 21. Jahrhunderts nachzudenken.
Eine Welt vor der Föderation
Das Ansehen der ersten Episoden von ENT versetzt routinierten Trekkerinnen einen tüchtigen Schock. Das Intro beginnt nicht mit der visionären Möglichkeit der Entdeckung neuer Welten und Zivilisationen, sondern mit einem rückwärts gewandten Zeitraffer der Entwicklung menschlicher Luft- und Raumfahrt, bis hin zum ersten interstellar (mhm, immerhin, denkt man sich) reisenden Schiff, der Enterprise NX-01. Untermalt wird das von einem Song in Stil des American-Mainstream der 80er Jahre. "Where My Heart Will Take Me" wird gesungen von Russell Watson, der sich einen Ruf als junger stimmkräftiger Opernsänger erworben hat, und ist auf dessen zweiten Album "Encore" zu hören. Geschrieben von Diane Warren, wurde der Song bereits 1998 von Rock-Röhre Rod Stewart (!) interpretiert; und so hört er sich auch an. Der Text bezieht sich zunächst ebenfalls eher auf vergangenes: "It's been a long road getting from there to here...".
Neue Crew, neue Subroutinen. |
Definitiv zwei Anlässe zur Hoffung, aber trotzdem: die Rezeption gerät ins Stocken. Mit den Stories tauchen ähnliche Probleme auf: Die Prime Directive der Föderation der Planeten mit ihren komplexen Implikationen existiert schlichtweg noch nicht, und wenn man die ersten Episoden zur Grundlage nimmt, gibt es für Cpt. Archer und seine Crew noch viel zu tun und zu lernen, bis sie diese werden denken können. Die praktische Umsetzung der obersten Direktive stellte bisher noch jede Crew vor die Herausforderung, Entscheidungen nach bestimmten Kriterien treffen zu müssen, Fehler zu machen und sich mit der Unmöglichkeit, in bestimmten Situationen das Richtige tun zu können, auseinanderzusetzen. Und nicht zuletzt verhandeln genau diese Probleme die Unterschiedlichkeit von individuellen wie kollektiven Lebensformen. Dies zeugt von einer Vision, die Gene Roddenberry zu einer zentralen Eigenschaft des ST-Kosmos machte. Dem Entwurf einer Universalität von Gesellschaft, die nicht einige gleich macht um andere auszuschließen, sondern Differenz zum höchsten immateriellen Gut erhebt, das es zu entdecken und zu schätzen gilt. In den Worten Genes: "(...) to take a special delight in differences in ideas and differences in lifeforms". Eine Universalität also, die nicht einfach proklamierbar ist, sondern in jeder Situation erst in gegenseitigem Einverständnis hergestellt werden muss!
Der enge Horizont der Gegenwart
Organischer Pop-Intellektueller.
Gene 1978 im Gespräch mit einem Fan. |
Kehren wir zurück zur Situation Mitte des 22. Jahrhunderts, wie sie sich in ENT darstellt. Um an dieser Stelle nicht zuviel von den einzelnen Episoden der ersten Staffel zu verraten: Wir wollen nur das erzählen, was unbedingt notwendig ist, um ein Feeling für die Mission von ENT zu vermitteln. Eine Mission, die nach unserer Einschätzung absolut das Potential hat, der Serie einen wichtigen Platz im ST-Kosmos einzuspielen.
To boldly go... Cochrane-Video zum
Enterprise-Start. |
Eine Perspektive der Konstitution
Es ist sicherlich kein Zufall, dass Captain Archer und Subcommander T'Pol diese Konfliktstellung geradezu idealtypisch verkörpern. So kann die Auseinandersetzung repräsentativ auf der Brücke der Enterprise ausgetragen werden - was auf Dauer auch nicht ohne Ergebnisse vonstatten geht.
In der 15. Episode gibt es endlich eine Gelegenheit, Geschlossenheit nach Außen zu zeigen; die Enterprise-Crew steht zu T'Pol und verteidigt sie gegen Anschuldigungen des vulkanischen High Command [Im Schatten von P'Jem].
Nach diesem Schlüsselerlebnis lockert sich die Athmosphäre der Zusammenarbeit auf der NX-01 zusehends - es entsteht gar eine Tendenz der Verselbständigung guter menschlich-vulkanischer Kooperation mit Auswirkung auf die interstellaren Beziehungen. Für Star Trek-Fans ist ein wichtiger Moment sicherlich die Entdeckung, dass nicht nur die menschlichen Fähigkeiten zu Diplomatie, Politik und Strategie im 22. Jahrhundert noch nicht den hohen Standard der zukünftigen Föderation der Planeten erreicht haben. Auch die Vulkanier können derart tapsig, ungeschickt und starren Prinzipien folgend agieren, dass sie an diesen scheitern. Mit dieser Blöße geben sie Archer & Co die Gelegenheit, ihrer Neugier auf andere Lebensformen entsprechend, ein erfolgsversprechenderes Agieren in die Tat umzusetzen [ebenfalls Im Schatten von P'Jem]. Dies sind nur zwei von vielen angelegten Entwicklungslinien, die in der ersten Season von Enterprise erkennbar werden. Es ist bereits offensichtlich, dass sich ähnliche Dinge auf sämtlichen Ebenen des sozialen Lebens gleichzeitig vollziehen müssen - von den Geschlechterrollen über die allgegenwärtigen Auseinandersetzungen um Anerkennung und Konsensbildung im Crew-Alltag, bis hin zur bereits in der Entstehung begriffenen Prime Directive. In den Episode Reviews werden wir dies ausführlich zur Diskussion stellen.
TV-Guide: Vulkanisch-menschliche
Differenzen im 35. Star Trek-Jahr. |
Denn wenn es gelingen kann, einen Entwicklungspfad von einer Lebensrealität, die der unseren sehr nahe ist, zum bekannten Standard der Föderation aufzuzeigen, wenn die etwas rückständigen und reichlich untrekoiden Role-Models der Enterprise-Crew gerade deswegen, weil sie genau so sind, dazu taugen, einen Prozess der Konstitution föderaler Verhaltensweisen sichtbar zu machen, wenn der vergleichsweise langweilige Stand der interstellaren Beziehungen, wie er in ENT für die Mitte des 22. Jahrhunderts beschrieben ist, vor allem dazu benutzt wird, die ganz grundlegenden Entstehungsbedingungen für jede Coop verschiedener Lebensformen darzustellen, dann, ja dann hat das Produzententeam Rick Berman / Brannon Braga mit ihrem vielgescholtenen Prequel-Konzept für den Star Trek-Kosmos ein ungeheures Entwicklungspotential aufgetan. Dann wird Star Trek ab der ENT-Serie noch weniger Utopie und noch mehr performativer Eingriff in die aktuellen Verhältnisse sein als bisher sowieso schon. Living Trekism wird Verlauf und Richtung der Serie weiterhin aufmerksam verfolgen - stay tuned! (Mai 2002, LT)