ENT 052 - The Expanse / Die Ausdehnung

Abstract

In Die Ausdehnung werden wir Zeugen, wie die Xindi - eine bis dahin noch unbekannte Spezies - die Erde im Jahre 2153 ohne jegliche Vorwarnung mit einer Massenvernichtungswaffe angreift. Der Angriff hinterlässt von Florida bis Venezuela ein Bild der Zerstörung und kostet sieben Millionen Menschen das Leben. Science Fiction einmal andersherum: Hier wird nicht ein Bedrohungsszenario konstruiert, das aus gegenwärtigen Verhältnissen heraus in die noch ungeschriebene Geschichte der Zukunft extrapoliert wird. Vielmehr werden epochemachende Ereignisse der jüngsten Vergangenheit auf die interstellaren Verhältnisse einer fiktionalen Zukunft übertragen und im besten Sinne popkulturell zugespitzt.

Denn Produzententeam Berman/Braga gelingt mit ihrem Xindi-Szenario ein wahrer Geniestreich: Sie greifen komplexe Zusammenhänge auf, die im "War on Terror" der Bush-Administration nur allzu leicht zu Gunsten von einfachen Wahrheiten untergehen. Dies gilt nicht nur für
Die Ausdehnung. Denn der außerirdische Anschlag wird zum Ausgangspunkt eines interstellaren Konflikts, der das Gros der Folgen in der dritten Staffel von Star Trek: Enterprise (ENT) bestimmt. Diesem ersten Episode-Review von Worfo K. werden weitere zum Thema "Star Trek's 11.09." folgen.

Zum fürchten! Wie Sicherheits­bedürfnisse bittere Folgen haben können

Star Trek's 11.09. Eine Feuerwalze gräbt sich durch den amerikanischen Kontinent Die Ausdehnung kann, wie die gesamte Erzählung der dritten ENT-Staffel, als eine äußerst aufschlussreiche Thematisierung der Post-11.09.-Situation gelesen werden. Im Zentrum steht dabei der Zusammenhang zwischen den kollektiven Ängsten und Sicherheitsbedürfnissen einer Mehrheit der US-amerikanischen Bürger und dem Vorgehen der von ihr jüngst wiedergewählten Regierung.

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen. Bei dem Angriff der Xindi auf die Erde haben wir es vor allem in der Bildsprache mit "Star Trek's 11.09." (Braga) zu tun. Gleichzeitig, das ist wirklich bemerkenswert, handelt es sich dabei um einen "präventiven Angriff", wie von Brannon Braga zuvor angedeutet. Diese Verknüpfung hat es in sich und verdient eine genauere Betrachtung.

Der präemptive Angriff der Xindi, die Bush-Doktrin und ihre Folgen

Auf ihrem Rücksturz zur Erde wird die Enterprise von ihrem gesichtslosen Gegenspieler im Temporalen Kalten Krieg (TKK), im Fandom "Future-Guy" genannt, ungefragt kontaktiert. Von ihm erfährt Captain Archer nicht nur, dass die Xindi hinter dem Anschlag stecken. Der große Unbekannte berichtet ebenso vom Motiv der Angreifer. Danach habe eine andere Fraktion im TKK den Xindi eröffnet, dass die Menschen ihren Heimatplaneten in 400 Jahren zerstören werden. Die Xindi haben deshalb beschlossen, dem zuvorzukommen, indem sie die Spezies Mensch auslöschen. Sie handeln damit nach einer Doktrin, die auf präemptive Verteidigung setzt und darin unübersehbar der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2002, die so genannte Bush-Doktrin, ähnelt, auf deren Grundlage die USA ihre völkerrechtswidrige Invasion und Besatzung Iraks zu legitimieren versuchte.

Der 'Future-Guy' macht auf intertemporalen Geheimdienst

Ruft der Angriff der Xindi einerseits mit der riesigen Feuerwalze, mit der sich die Massenvernichtungswaffe durch den amerikanischen Kontinent brennt, visuell und damit vor allem mental die schockierenden Bilder der explodierenden Türme des World Trade Centers auf. Das ideologische Motiv und der materielle Hintergrund der Angreifer besteht in Star Trek andererseits jedoch nicht etwa in einem aggressiven Isolationismus eines nicht-staatlichen Glaubenskriegernetzwerkes a la Al Qaida. Motiv, Hintergrund und Handlungsdoktrin erinnern vielmehr an die USA selbst: Die politische Führung einer Gesellschaft greift eine andere Gesellschaft militärisch an, um den Schutz der eigenen Leute gegen eine vermeintlich vorhersehbare wie bedrohliche Inspektionen vor Reaktionen Zukunft zu verteidigen. So behauptete die neokonservative Regierung Bush vor ihrer Invasion, Saddam Hussein habe ein Atomwaffenprogramm betrieben, mit dem Irak künftig die USA und ihre Verbündeten bedrohen und zerstören könnte. Auch war aus Washington immer wieder zu hören, Saddam Hussein habe Al Qaida unterstützt und sei damit für den 11.09. mitverantwortlich gewesen.

Die Logik der Bush-Doktrin besteht darin, den am schlimmsten anzunehmenden Ernstfall zur Grundlage des eigenen Handelns zu machen. Da die Zukunft bekanntlich grundsätzlich offen ist, besteht die paradoxe Crux der Doktrin darin, mit präemptiven Militärschlägen dazu beizutragen, dass die antizipierte zukünftige Bedrohung diametral zur eigentlichen Intention ihrer Verhinderung erst herbeigeführt wird. So stellen die Xindi mit ihrem Angriff ein zutiefst antagonistisches Verhältnis zu den Menschen nach dem Motto Die oder wir her, statt auf diplomatischem Wege einen erfolgreichen ersten Kontakt als Grundlage für eine friedliche Koexistenz zur Prävention des worst case zu setzen. Das militaristische Denken hinter der Präemption geht dagegen von einer Utopie der verbrannten Erde aus, nach der der Feind vernichtend geschlagen und so ein für allemal unschädlich gemacht werden könne. Eine Rechnung, die auf die eine und die andere Weise für die Militaristen im Rat der Xindi wie der Bush-Administration nicht aufgehen sollte:

In Irak werden zum einen die ersten Eindrücke der von Washington mit dem Krieg abgebrochenen UN-Waffeninspektionen, nach denen Irak über kein Atomwaffenprogramm verfügte, zuletzt selbst von offiziellen US-Inspekteuren bestätigt. Des Weiteren haben die Untersuchungen der 9/11-commission des US-Kongresses eindeutig ergeben, dass es keinerlei Verbindungen zwischen Irak und Osama bin Laden gegeben hat. Im Irak-Krieg, der nach der Invasion zum Guerilla-Krieg wurde, sind neben einer unbekannten Zahl auf Seiten des irakischen Widerstands und den ins Land strömenden islamistischen Desperados bisher über 100.000 irakische Zivilisten und 1.000 US-Soldaten ums Leben gekommen. Ein Ende der Kämpfe und eine Wende hin zu einem stabilen und selbstbestimmten Irak Todfeinde und Partner in Sachen Gewaltspirale: Bush und bin Laden sind nicht absehbar. Der Nahe Osten droht stattdessen weitere Instabilität. Denn ein chaotischer Irak kann den militanten islamistischen Fundamentalisten als zweiter regionaler Konfliktherd nach Israel/Palästina den Ausbau ihrer Anhängerschaft letzltich nur erleichtern.


Die Entscheidung in den USA und die schwierige Mission der Enterprise

Die Welt ist seit Kriegsbeginn im März 2003 nicht nur für US-Amerikaner und Iraker unsicherer geworden. Neben den nicht enden wollenden Hinrichtungen von zivilen Ausländern in Irak, zahlreichen Anschlägen vor allem auf Tourismushochburgen in islamischen Ländern ist der Krieg mit den Anschlägen auf die Madrider U-Bahn kurz vor den spanischen Wahlen im März 2004 auch auf Europa ausgeweitet worden. Doch anders als die spanische Bevölkerung, die mit der Wahl der Sozialisten auch den Rückzug der spanischen Truppen aus Irak wählten, hat sich die Mehrheit der US-Wähler statt von den Fakten und Herausforderer John Kerry von ihrer Angst und den Heilsversprechungen ihres vorgeblichen Schutzpatronen George W. Bush überzeugen lassen. Sie haben sich somit für die Fortsetzung des globalen Kriegszustandes entschieden.

Der Beginn einer schwierigen Mission Die Xindi haben mit ihrem Angriff am Ende von Die Ausdehnung vor allem eins erreicht: Sie haben die geeinte Menschheit der ENT-Zukunft mit dem Mord von sieben Millionen Menschen auf sich aufmerksam gemacht. Das einzige irdische Warp-5-Schiff der noch jungen Sternenflotte macht sich auf den Weg in die Delphische Ausdehnung. Die Mission der Enterprise ist es, einen zweiten, möglicherweise noch zerstörerischen Angriff der Xindi zu verhindern. Wird es ihr möglich sein, dabei einen alternativen Weg zu dem der von Angst bestimmten Vergeltung einzuschlagen? Dass die angegriffene Menschheit in Star Trek für die Bewohner New Yorks ebenso wie für die Bagdads steht, lässt hoffen. (November 2004, w.)