Wie es zur Obersten Direktive kam. Ein spannendes Spin-Off-Konzept?

Da die Gründung der Föderation der Planeten erst am Ende der siebten Staffel vom Konzept her Sinn macht, ist ENT programmatisch die ST-Ausnahmeserie. Das macht sie schwierig und spannend zugleich: Das Verhältnis zu den anderen Serien der bereits vergangenen Zukunft bleibt unaufgelöst, es begründet somit per se ein Spannungsverhältnis im doppelten Sinne: Einerseits müssen uns die Charaktere vor den Kopf stoßen, solange die Föderationscharaktere von Kirk bis Janeway das Maß der Dinge abgeben. Andererseits ist es genau diese Spannung, die ENT zumindest der Möglichkeit nach spannend macht: Wie bewährt sich das Flaggschiff der noch jungen Sternenflotte in der interstellaren Anarchie der präföderalen Ära und welchen Anteil hat es an der Entstehung der Föderation als die große unbekannte Gewissheit? Faszination gewinnt diese Perspektive, wenn in ihr das föderale Versprechen von Star Trek unter den weltpolitischen Bedingungen des beginnenden 21. Jahrhunderts, die denen des Alphaquadranten um 2150 so auffallend ähnlich sind, wieder aufgriffen wird.

Immer wieder gedehnt und gebrochen, doch ohne sie geht's nicht: Die Oberste Direktive.
Immer wieder gedehnt und gebrochen, doch ohne sie geht's nicht: Die Oberste Direktive.
Gene Roddenberry hat Star Trek aus dem planetar-demokratischen Geist von 1968 heraus unter der Prämisse konzipiert, dass die einfachen Leute eine enorme Sehnsucht nach Überwindung der Verhältnisse und Institutionen haben, "die die Menschheit seit so langer Zeit zersplittert halten." [Die Star Trek-Philosophie, pdf] Roddenberry bezog diese Prämisse in erster Linie auf den Umgang mit Differenz. Hunger, Krieg und Kapitalismus gelten auf der Erde und den anderen Föderationsplaneten als überwunden und bilden den Hintergrund, das utopische Fundament der "Geschichte der Zukunft", wie es der ST-Gründervater nannte. Sie plausibilisiert die Souveränität, mit der die Föderationscharaktere eben solchen Phänomenen gesellschaftlicher Mängelzustände im Kontakt mit anderen Zivilisationen begegnen können. Es geht ihnen stets darum, eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung des jeweiligen Konflikts zu erreichen.

Das Respektieren von und der Gefallen an anderen Lebensformen bilden dabei die alltagsphilosophischen Grundlagen der Obersten Direktive und der Offenheit der Föderation. Die Föderation der Planeten ist kein quasi fertiger Verfassungszusammenhang, den sich neue Mitglieder bedingungslos zu unterwerfen hätten. Im Gegensatz etwa zum konservativen Prinzip der so genannten "Leitkultur", der sich Immigrantinnen und Immigranten anzupassen hätten, wird das, was die Föderation ausmacht, bei jedem First Contact neu verhandelt.

Neugier und der Wunsch nach persönlicher wie kollektiver Weiterentwicklung durch den Kontakt mit dem Fremden prägen das Handeln der Heldinnen und Helden, nicht der Wille zur Durchsetzung der eigenen Normen und Interessen in Gestalt einer kompromisslosen Dominanzpolitik. Das Motto der mexikanischen Zapatisten, "Fragend schreiten wir voran", ist in der interstellaren Gesellschaft der Föderation zur zivilisatorischen Selbstverständlichkeit geworden.