Save the Future! Das föderale Versprechen im Krieg der Zeitlinien

Enterprise wäre nicht Star Trek, wenn die Ähnlichkeiten der fiktionalen Akteure mit politischen Gruppen und Persönlichkeiten unserer Vergangenheit und Gegenwart nicht mit der ultimativen Möglichkeit der Science Fiction kontrastiert würde - der Zukunft. Und so erweist sich der Konflikt zwischen Xindi und Menschen - wie mit dem frühen Auftauchen des Future-Guy bereits angedeutet - im letzten Drittel der Staffel als ein Kriegsschauplatz des Temporalen Kalten Krieges, der seit der Serienpremiere eine Rolle gespielt hatte.

Eroberer aus einer anderen Dimension: Die Sphärenerbauer.
Eroberer aus einer anderen Dimension: Die Sphärenerbauer.


Wie sich herausstellt, ist die Annahme der Xindi, dass die Menschen ihren Heimatplaneten zerstören werden, eine gezielte Falschinformation der so genannten Sphärenerbauer. Diese sind in einer anderen Dimension heimisch und haben sich vorgenommen, die Zeitlinie für eine Kolonisierung des Alphaquadranten etwas günstiger zu gestalten, indem sie die Gründung einer Föderation der Planeten verhindern. Da sie sich in unserer Dimension nicht ohne weiteres materialisieren können, beauftragen sie die manipulierten Xindi mit der Auslöschung eines wichtigen Gründungsmitglieds der Föderation, die politisch geeinte Erde (vgl. Azati Prime). Gleichzeitig bereiten sie die Kolonisierung mit der Errichtung eines Netzes von mondgroßen Sphären vor, das die erwähnten Störungen im Raumzeitkontinuum der delphischen Ausdehnung hervorbringt. Dass diese Störungen sämtlichen Spezies unserer Dimension die größten Schwierigkeiten bereiten - so manches Schiff wurde in der Nähe von Sphären schon arg geschüttelt, zerbeult oder zerborsten - ist dabei durchaus programmatisch: Die dimensionale Transformation geht zwangsläufig mit der völligen Auslöschung der bisherigen Bewohner einher. Es geht also um nichts Geringeres als um den ultimativen Genozid an all jenen Spezies, die in der bekannten Zeitlinie die Föderation gründen werden - die Einheit der differenten Lebensformen.

Daniels beschwört Archer mit wenig Erfolg, die Föderationszukunft nicht aufs Spiel zu setzen.
Daniels beschwört Archer mit wenig Erfolg, die Föderationszukunft nicht aufs Spiel zu setzen.
In Azati Prime bekommt auch Archer mit dem Zeitagenten Daniels einen Bündnispartner aus der Zukunft. An Bord der Enterprise-J konfrontiert er Archer mit jener Zukunft, die die Sphärenerbauer zu verhindern suchen: Nach vierhundert Jahren ist die dimensionale Transformation an einen Punkt angelangt, an dem die Sphären-Erbauer mit Raumkriegsschiffen materialisieren und angreifen können, um ihr exterministisches Werk zu beenden. Ihnen steht aber eine mächtige Flotte der Föderation der Planeten gegenüber. Zu ihr gehört besagte Enterprise-J, auf der Xindi, Menschen und andere Spezies des Alphaquadranten Seite an Seite kämpfen.

Doch Archer bleibt Gefangener unserer Realpolitik. Er will von der Zukunft und dem Gefasel von einer Föderation nichts wissen, setzt weiter allein auf die Zerstörung der Massenvernichtungswaffe der Xindi. Der fundierten Prophezeiung Daniels' schenkt Jonathan erst dann Aufmerksamkeit, als er mit seiner bomben-fixierten Strategie tüchtig auf die Fresse bzw. in den Kerker der Xindi-Reptilianer fällt. Erst in der Not der Folter, der nun auch er im Verhör zum Opfer fällt, spielt Archer schließlich doch die Danielskarte aus. Mit einem Xindiartefakt von der Enterprise-J liefert er der Xindi-Fraktion um Degra ein Indiz dafür, dass die Xindi nicht gegen sondern nur mit der angeblichen Schurkenspezies vom Planeten Erde eine Zukunft haben werden. Das föderale Versprechen ist im Spiel.

Die gerade geweckten Zweifel an der interessierten Gefolgschaft der Hardliner gegenüber den Sphärenerbauern werden bestätigt, als die Reptilianer gegen alle Absprachen die NX-01 angreifen und Degras Delegation unter Waffengewalt vom Gefangenen Archer trennt. Im Xindi-Rat erzwingt daraufhin eine Allianz aus Faultieren, Primaten und Aquarianern die Herausgabe von Archer, der später im Rat angehört werden soll. Eindrucksvolle Aufnahmen aus dem Inneren einer Sphäre sowie die Leiche eines Sphärenerbauers, deren physikalische Eigenschaften tatsächlich aus einer anderen Dimension zu stammen scheinen, überzeugen die neuen Xindi-Alliierten schließlich. Doch der Weg in den Xindi-Rat bleibt steinig und gefährlich. Nachdem Degra gar ein Reptilianer-Schiff abgeschossen hat, um seine Allianz mit Archer nicht vorzeitig bekanntzumachen, gibt es für ihn kein Zurück mehr (vgl. Die Vergessenen).

Als Degra schließlich mit Archer und Hoshi den Rat der Xindi über ihre Sicht der Dinge informiert, kommt es endgültig zur Spaltung: Reptilianer und Insektoiden bereiten sich darauf vor, auf eigene Faust die Waffe zur Zerstörung der Erde zu starten. In dieser Situation benutzt Reptilianer-Kommandant Dolim eine Formulierung, die kaum deutlicher an die Haltung der Bush-Administration bei der Vorbereitung des Irak-Kriegs erinnern könnte: "Either you stand with us, or you stand against us." Die Aquarianer reagieren sehr europäisch (bzw. im Sinne der US-Linken): "We won't submit to intimidation." Sie hätten auch sagen können "Not in my name!" (vgl. Der Rat).

Degra bezahlt das Wagnis der Kooperation mit dem Leben.
Degra bezahlt das Wagnis der Kooperation mit dem Leben.
Dolim lässt seinen Worten Taten folgen und ermordet Degra. Die Situation spitzt sich zu: Schiffe der Reptilianer und Insektoiden machen sich mit dem Planetenzerstörer in Richtung Erde auf. Archer versucht nun händeringend auch die bedächtigen Aquarianer davon zu überzeugen, dass der Einsatz der Waffe katastrophal für beide Welten wäre. Die Aquarianer sehen keinen Grund, sich dem Zeitdruck auszusetzen und beginnen erst aufzuhorchen, als Archer einen weiteren Trumpf ausspielt: Er bietet eine Möglichkeit an, die Sphären - von deren raumtransformierenden Wirkungen die intelligenten Meeresbewohner besonders betroffen sind - außer Gefecht zu setzen.

Als sich die nun geschlossene Koalition zwischen Menschen und Xindi der Massenvernichtungswaffe nähert, kommt es zum Gefecht mit Reptilianern und Insektoiden. Nur aufgrund eines Eingriffs der Sphärenerbauer gelingt es den Reptilianern trotzdem noch, die Waffe zu starten (vgl. Countdown). Archer fasst in der Stunde Null den Plan, die Waffe mit einem Team zu entern und von innen zu deaktivieren. Der actiongeladene Plot endet schließlich mit der erfolgreichen Sabotage der Massenvernichtungswaffe durch Archer, die den Retter des Alphaquadranten in einen Cliffhanger für die vierte Staffel schleudert.

Der transfiktionale Surplus der Xindi-Erzählung für die Erdbewohner des beginnenden 21. Jahrhunderts besteht vor allem darin, die Dringlichkeit einer Weltinnenpolitik auf die popkulturelle Agenda gesetzt zu haben. Und wir wagen zu behaupten, dass dies gerade so gut gelingt, weil ENT bewusst auf den visionären Status Quo der Vorgängerserien verzichtet. Der Umstand, dass Archer als Wiedergänger von Kerry-Schröder-Chirac zunächst selbst zum Teil des Problems wird, bringt Enterprise in die Niederungen unserer kriegerischen wie barbarischen Zeit. Anders als mit einem ethisch wie alltagspraktisch überlegenen Föderationshumanoiden, den die Umstände in die Konflikte einer fremden Zivilisation ziehen, werden wir mit Archer in den widersprüchlichen Prozess der Föderationsentstehung verstrickt.

Dieser Prozess ist keineswegs ein Selbstläufer, der vom spätföderalen Daniels als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung unter die Leute der präföderalen Ära gebracht werden könnte. Das müssen diese schon selbst tun indem sie sich in Sackgasen begeben, scheitern um erst dann die Optionen erkennen zu können, die das föderale Versprechen gerade in aussichtslos erscheinenden Situationen eröffnet. Diese Optionen bestehen in Vertrauen aufbauenden Maßnahmen beider Seiten, die schließlich in erst spontaner - und wenn alles gut läuft - dann gewohnheitsgemäßer, später in institutionalisierter Kooperation münden kann. Doch zwischen diesen Stadien kann viel Zeit vergehen, Rückschläge können erreichte Zivilisierungsniveaus wieder passe machen bis schließlich schwerlich umkehrbare Zivilisationssprünge gelebte Wirklichkeit werden.

Der US Postal Service widmet der UN eine Marke - anno 1965.
Der US Postal Service widmet der UN eine Marke - anno 1965.
Mit der Gründung der Vereinten Nationen (UN) ist nach zwei Weltkriegen und dem deutschen Massenmord an den europäischen Juden und anderer Minderheiten ein erster Schritt in Richtung globaler Kooperation unternommen worden. Doch die Hoffnungen auf eine Welt ohne Krieg und Unterdrückung wurden durch den Kalten Krieg bald auf Eis gelegt. Auch die Träume vom Wind-of-Change nach dessen Ende wurden mit der US-Invasion in Somalia (1992-1994/95) und dem Völkermord an den Tuzi in Ruanda (1994) (vgl. Lutz Herden: Kreuzfahrer am Horn von Afrika) sowie dem Versagen Europas, die Kriege auf dem Balkan zu verhindern (vgl. Michael Ignatieff: Europas Schande), bald zunichte gemacht. Mit der neokonservativen Bush-Administration wird die große UN-Gründernation USA von einer Bremse des irdischen Föderationsprozesses zu dessen Gegner. Der global erklärte "Krieg gegen den Terrorismus", mit dem sie auf die Anschläge vom 11.09. reagiert, verhilft der neokonservativen Angstideologie zum Durchbruch und blockiert die dringend notwendige Politisierung der ökonomischen Globalisierung. In den USA verlieren die Internationalisten im konservativen Lager an Gewicht (vgl. Francis Fukuyama: Der Einmarsch der Isolationisten). Die politische Linke gerät in eine tiefe Krise (vgl. Michael Walzer: Angstfrei). Auf dem Grund dieser Krise kann das Fehlen einer plausiblen Vision von einer demokratischen Globalisierung ausgemacht werden, die den Bewohnern dieses Planeten Sicherheit vor sozialer Ausgrenzung, ökonomischer Ausbeutung, ökologischen Katastrophen und Gewalt durch Krieg und Terror bietet.

Dass sich ein nicht unwesentlicher Teil des Fandoms von ENT abgewandt hat - verdeutlicht in den niedrigen Quoten -, können wir uns nur mit einem Abfärben der Krise der US-Linken auf Archer und seine Crew erklären. Viele Fans sehen ihre Bedürfnisse an Star Trek unbefriedigt, die von den anderen Serien und ihren visionären Gewissheiten geprägt wurden. Wir glauben, dass diese Perspektive dem Prequel ENT und seinen transfiktionalen Verdiensten nicht gerecht werden kann. Gerade die anfängliche Unreife von Crew und Captain, das Lavieren und ausprobieren, die Unsicherheiten und die falschen Entscheidungen machen das Politikangebot für die mindestens ebenso unreifen Menschen des 21. Jahrhunderts interessant. Dieses Angebot besteht in der popkulturell komplexen Entwicklung eines interstellaren Föderationsprozesses. Ein zeitgemäßes Angebot des föderalen Versprechens Gene Roddenberrys, das nicht zuletzt auch wegen der marktradikalen Fantasielosigkeit eines Les Moonves nun auf halben Weg abgebrochen werden musste. Nach der Xindi-Erzählung konnte zumindest noch mit der vierten Staffel so manche Inspiration für den Willen zur Kooperation gegeben werden. Allein mit ihm kann sich die Menschheit dazu in die Lage versetzen, die vielfältigen politischen Blockaden auf dem langen Weg zu einer umfassenden gesellschaftlichen Globalisierung zu überwinden. (Oktober 2005, W. & B.)